Die Strasse des Horus
steckte. Dann blickte er zu ihr hoch. »War das unhöflich, Mutter? Ich habe gerade die Ermahnung des Schreibers Ani gelernt.« Er kräuselte die Stirn und kaute nachdenklich. »›Vergiss nicht, dass deine Mutter dich zur Welt gebracht und dich mit allumfassender Sorge aufgezogen hat‹«, sagte er stockend auf. »›Gib ihr nie Anlass, sich über dich zu beschweren und die Hände zum Gott zu erheben und dein Benehmen zu geißeln, und gib dem Gott nie Grund, auf die Klagen deiner Mutter zu hören.‹« Er schnaufte vor Anstrengung und strahlte dann. Aahmes-nofretari schenkte Ahmose ein entzücktes Lächeln, das erste unbeschwerte Lächeln, dachte er, das ich seit meiner Rückkehr gesehen habe.
»Das hast du sehr gut gemacht«, sagte sie zu Ahmose-onch. »Du hast ein gutes Gedächtnis.«
»Die Veränderung an ihm gefällt mir sehr, Aahmes-nofretari«, bemerkte Ahmose und sah hinter seinem Stiefsohn her, der über den Sand lief. »Pa-sche hat berichtet, wie rasch sein Schüler auffasst und behält, was man ihn lehrt.« Aahmes-nofretari nickte.
»Pa-sche hat gefragt, ob er ihn irgendwann abends mit aufs Dach nehmen und ihm die Sternbilder zeigen kann«, sagte sie. »Zuerst habe ich ängstlich reagiert, Ahmose. Vater ist mir eingefallen, wie er allein oben auf dem alten Palast gesessen hat und dann, wie Kamose ermordet worden ist und du verwundet wurdest. Ist das nicht dumm? Noch nie haben wir so viel Sicherheit genossen, und trotzdem zucke ich noch immer bei jedem Schatten zusammen.«
»Ich bisweilen auch«, bekannte er. »Aber mit einer Leibwache kann den beiden nichts passieren.« Er schnipste mit den Fingern, holte Achtoi herbei. »Es ist Zeit, nach Hause zurückzukehren«, sagte er. »Ich möchte Abana und Paheri sehen, ehe sie nach Necheb aufbrechen. Ich habe ihnen einen Monat frei gegeben, danach müssen sie zurück ins Delta.« Sofort wurde ihre Miene undurchschaubar.
»Ich bleibe noch ein Weilchen hier«, sagte sie kühl. »Ich möchte eine Gabe bei Si-Amun lassen, und es ist mir einerlei, dass es nicht erlaubt ist.«
»Mir auch«, sagte er leise mitten in ihr trotziges Gesicht. »Erinnere dich an seine Bestattung, Aahmes-nofretari. Wir alle, selbst Amunmose, haben es gewagt, seinen Leichnam heilig und unverletzlich zu machen, als wir Vater bestattet haben.« Er konnte sich nicht erinnern, ob sie Si-Amun bei anderen Schönen Festen geehrt hatte, und fragte sich, ob sie nur heute darauf bestand, weil sie ihn damit in Verlegenheit bringen wollte. »Achtoi, hole den Prinzen und lass die Sänften bringen«, befahl er. »Die Zeremonie ist beendet.«
Nach dem Monat Mesore beging man am ersten Tag im Thot den Beginn des neuen Jahres, das Erscheinen des Sopet-Sterns und den Winteranfang. Ganz Ägypten feierte, drängelte sich in den Tempeln, verteilte sich an den Ufern des Nils, wo Süßigkeitenhändler und Hersteller billiger Götterbilder ihre Waren feilboten, und strömte zum Tanzen, Trinken und Schwatzen auf die Dorfanger. Edelleute und Reiche zog es Abends aufs Wasser, dort ließ man sich zur Musik von Trommel, Pfeife und Laute treiben, während das gemächliche Kielwasser den Fackelschein der geschmückten Boote und Barken zurückwarf.
Ahmose stand vor Tagesanbruch auf und lauschte der Lobeshymne, die in Amuns Tempel für ihn gesungen wurde, dann vollzog er höchstpersönlich das Öffnen des Schreins und das Speisen, Ankleiden und Einnebeln des Gottes mit Weihrauch.
Er hatte nichts von der furchtbaren Vision des Sehers erzählt. Und Amuns Orakel hatte er auch nicht befragt. Solange ich mich nicht bemühe, die Vorhersage bestätigen zu lassen, kann ich zweifeln und hoffen, sagte er sich bekümmert, während er sich verneigte und sich bäuchlings niederwarf, die Arme hob und fallen ließ, während sein Mund zusammen mit den weiß gekleideten Männern ringsum Lobes-und Bittworte sprach. Das Kleine lebt. Aahmes-nofretari spürt, wie es sich in ihr bewegt. Sie hat meine Hand genommen und sie auf ihren Unterleib gelegt, und ich habe selbst das unmerkliche Flattern seiner Gliedmaßen gespürt. Vielleicht wird doch noch alles gut. Vielleicht hat das Wahrsageöl Dämonen angelockt, die mich täuschen, meine Liebe zu ihr vergiften und die große Verheißung der Zukunft zerstören wollen. Er war jedoch ein ehrlicher Mensch, und seine Vernunftgründe klangen selbst in seinen Ohren hohl.
Als er über den Vorhof des Tempels zu seiner Sänfte ging, versengte und blendete ihn die Sonne, die noch immer gnadenlos
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