Die Strasse des Horus
bereits zurück und verschwunden. Die Königin braucht dich.« Er hatte kaum ausgeredet, da hörte Ahmose Aahmes-nofretari selbst rufen.
»Ist er da, Emchu? Hast du ihn gefunden?« Ahmose stürzte ins Zimmer.
Aahmes-nofretari hielt die Falten ihres Nachtgewandes am Hals zusammen und schritt auf und ab, und ein Ahmose unbekannter Mann stand am Fenster und verbeugte sich.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie. »Aber, Ahmose, du bist ja nackt und tropfnass! Achtoi hat gesagt, dass du dir ein Boot genommen hast. Bist du gekentert?« Er antwortete nicht sofort, sondern ging zu seinem Lager, zog ein Laken herunter, bedeckte sich damit, und dann erst wandte er sich ihr zu.
»Ich bin nicht gekentert«, sagte er gelassen. »Ich bin ins Badehaus gegangen und habe mich eigenhändig gewaschen, nachdem Anchmahor und ich zurück waren.« Sein Blick wanderte zu dem Mann, der jetzt das Fenster verlassen hatte und ihn ernst anblickte.
»Das ist Mereruka, mein Oberster Spion in Esna und Pi-Hathor«, erläuterte Aahmes-nofretari. »Ich habe dir von ihm erzählt. Er hat fünf Männer und Frauen unter sich und wohnt selbst in Pi-Hathor, wo er Esel züchtet und verkauft.«
»Ein nützlicher Beruf für einen Spion«, meinte Ahmose. Auf einmal war er sehr müde und setzte sich auf seinen Stuhl. Für ein paar kostbare Stunden war ich wieder Prinz, dachte er. Jetzt bin ich wieder König. »Deine Nachrichten müssen wichtig sein, wenn du sie höchstpersönlich nach Waset bringst.« Mereruka neigte den Kopf. Er ist, so dachte Ahmose, der unauffälligste Mensch, den ich je gesehen habe. Alles an ihm von dem kurzen schwarzen Haar bis zu den abgetragenen Binsensandalen ist unaufdringlich. Keine besonderen Gesichtsmerkmale. Sogar seine Gesten sind verhalten.
»Sie sind sehr dringlich, Majestät«, sagte Mereruka. »Ich habe Ihrer Majestät regelmäßig Berichte, mündliche natürlich, über die wachsende Unruhe in den beiden Städten geschickt, für die ich verantwortlich bin. Majestät, gewiss muss ich dir nicht erzählen, wie Esna und Pi-Hathor gelitten haben. In beiden leben viele Setius. Die sind früher wohlhabend gewesen.« Er mag ja ein Gesicht haben, das man schnell vergisst, aber Verstand und Sprache passen nicht dazu, dachte Ahmose. Wo hat Aahmes-nofretari den nur aufgetrieben?
»Ich weiß«, unterbrach er ungeduldig. »Kamose hat es geschafft, sie mit Drohungen und einem Bündnis abzuwiegeln.«
»Sie lassen sich nicht mehr länger abwiegeln«, sagte Mereruka grimmig. »Vor zwei Tagen ist der Bürgermeister von Pi-Hathor ermordet und sein Haus in Brand gesteckt worden. Gestern hat man den Bürgermeister von Esna vor einer Menge johlender Einwohner mit einer Keule erschlagen. Die hatten bereits eine Barrikade quer über den Fluss errichtet und einen deiner Herolde getötet, der von Djeb kam. Sie wollen die Goldschiffe abfangen. Bislang waren die Unzufriedenen ungeordnet und wild, aber nun leiten und kanalisieren Männer ihren Unmut in geordnete Bahnen. Die Städte sind nur vier Meilen voneinander entfernt gelegen. Bereits jetzt streunen unmittelbar vor Pi-Hathor Banden herum, die jeden davon abhalten, das Gebiet zu verlassen und dich zu warnen. Ich befürchte einen gemeinsamen Aufstand.«
»Und wie bist du hierher gekommen?«, erkundigte sich Ahmose. Mereruka tat die Frage mit einer Handbewegung ab.
»Ich habe zusammen mit meinem Sohn ein paar Esel nach Esna gebracht, die ich ihm dann zwischen den Städten anvertraute, um allein mit einem Floß über den Fluss zu setzen. Ich habe Nachricht an die Königinnen Aahotep und Tetischeri geschickt, dass sie in Djeb bleiben, bis Majestät die Lage im Griff hat.«
»Ach ja?«, sagte Ahmose leise. »Wie vorausschauend von dir. Erdreistest du dich etwa, mir zu raten?« Der Mann warf Aahmes-nofretari einen raschen Blick zu, denn der Ton des Königs hatte ihn sichtlich erschreckt.
»Er erdreistet sich zu gar nichts«, sagte sie betont. »Aber es ist besser, wir hören auf ihn, Ahmose.« Mit ihrem ›wir‹ hatte sie taktvoll vermieden, ihn der überheblichen Undankbarkeit zu bezichtigen, und Ahmoses kurze Gereiztheit verflog.
»Ja, gern«, sagte er freundlich. »Sag, was soll ich tun, Mereruka. Hat sich die Unzufriedenheit nach ein paar gewalttätigen Taten erschöpft, dann kann ich nämlich abwarten und Richter schicken, oder ist es nötig, mit einem Heer nach Süden zu ziehen?«
»Vielleicht nicht mit einem Heer, Majestät«, sagte Mereruka vorsichtig. »Aber meiner Meinung nach hast du
Weitere Kostenlose Bücher