Die Strasse des Horus
So viel Ohnmacht dürfte Hor-Aha wahnsinnig machen.« Ahmose antwortete nicht. Er erspähte Hor-Aha, der die Fäuste in die weiß gekleideten Hüften stemmte und den Kopf gesenkt hatte.
Doch dann fuhren alle Bogen hoch, als hätten die Medjai einhellig einen Gedanken. Ahmose blickte auf. Frische Setiu-Soldaten waren auf der Mauer aufgetaucht, knieten und schossen bereits in das dichte Kampfgetümmel. Pezedchu war bei ihnen, und selbst aus der Entfernung konnte Ahmose ihm seine Wut anmerken. Der Ausfall durch das Tor ist nicht seine Idee, dachte Ahmose. Natürlich nicht. So voreilig hätte er nie gehandelt. Hinter dieser Dummheit steckt Apophis. Pezedchu versucht, den Schaden zu begrenzen, uns vom Sturm auf das Tor abzuhalten, unseren Angriff zu verzögern.
Der Kampf tobte stärker. Das Tor stand noch immer offen, doch das Gedränge der Männer davor war ärger geworden. Ahmose sorgte sich, denn die Setius hatten es geschafft, statt der Tore menschliche Schutzschilde aufzubauen, die die Ägypter erst niedermetzeln mussten, ehe sie an dieses gewaltige Tor herankamen. Die Standarten und die Männer, die ihnen folgten, kamen nicht um die Setius herum. Inzwischen wurde heftig und erbittert gekämpft, und die Leichen der Gefallenen wurden zu einem weiteren Hindernis für die Ägypter, die jetzt schweigend ihre Waffen schwangen und wild entschlossen schienen, zu der einladenden Öffnung zu gelangen, die das Ende eines jahrelangen vergeblichen Bemühens bedeutete. »Sie sind gezwungen, alle Setiu-Soldaten zu erschlagen und über ihre Leichen zu klettern, ehe sie das Tor überhaupt anfassen können«, sagte Anchmahor verzweifelt und äußerte damit laut, was auch Ahmose schwante. »Bis dahin sind sie viel zu erschöpft zum Weiterkämpfen.«
»Dann werden sie ersetzt«, sagte Ahmose bestimmt. »Die Reihen der Setius lichten sich schon. Es ist Zeit, die anderen Divisionen zu holen.« Doch als er sich umdrehte, weil er einem der Herolde den Befehl geben wollte, sah er Pezedchu oben auf der Mauer mit hocherhobenem Schild und geballter Faust zum Tor rennen. Ahmose konnte ihn brüllen hören: »Macht das Tor zu, ihr Dummköpfe! Worauf wartet ihr noch? Sofort zumachen! Ihr Schwachköpfe! Ihr hirnlosen Hunde! Ihr verfluchten Kerle!« Verzweiflung überkam Ahmose, als das Tor langsam zuging. Er schrie auf, und sein Schreckensschrei wurde von den erschöpften Ägyptern aufgenommen. Ein Geheul erhob sich. Eine einzige letzte Welle wogte zur Mauer, dann fielen die Torflügel mit lautem Krach zu, gefolgt von einem leiseren Krach, als die mächtigen Holzbalken drinnen an Ort und Stelle angebracht wurden.
Die Äxte nahmen ihre Arbeit wieder auf, hackten in die kostbaren Fundamente des Anlegers. Die Ladung war gelöscht, und die Fackelträger warteten darauf, dass sie die leeren Schiffe und das, was vom Anleger übrig geblieben war, in Brand stecken konnten.
Kay Abana hatte die Norden wohlbehalten zurückgebracht. Ahmose ordnete eine Zählung der ägyptischen Gefallenen, der Verwundeten, eine Sitzung mit Turi und Sobek-chu und eine Auflistung der Beute an, doch er teilte die bittere Enttäuschung des riesigen ägyptischen Lagers.
Gegen Sonnenuntergang wurden die Kochfeuer angezündet, und ein Duft nach gutem Essen lag in der Luft. Soldaten wateten in den Fluss und wuschen Körper und verdreckte Kleidung, saßen vor ihren Zelten und schärften ihre Waffen, doch nicht unter dem gewohnten Gelächter und Geplauder. Ahmose, der sich an ihren Reihen entlangfahren ließ, war genauso niedergeschlagen. Alle begriffen, wie verheißungsvoll die gebotene Chance gewesen war, die sie im allerletzten Augenblick verpasst hatten.
Fünftes Kapitel
Von Kay Abana war keine Nachricht gekommen. Eine Sorge mehr, stellte Ahmose fest, als er später vor seinem Zelt saß. General Cheti hatte Nachricht geschickt, dass seine Männer den ganzen Tag Pfeile und Beleidigungen auf die Scharen von Setiu-Soldaten auf der Mauer des nördlichen Hügels abgefeuert und überhaupt viel Krach und Wirbel gemacht hätten, dass sie sich aber am Spätnachmittag zurückgezogen und das Lager aufgeschlagen hätten.
Wie lauteten die Befehle für den morgigen Tag? Ahmose wusste es nicht. Er konnte keinen Plan für die Horus-Division ausarbeiten, ehe die Norden nicht an Auaris vorbeigefahren kam. Ramose hatte darum gebeten, an Bord der Norden gehen zu dürfen, er wollte zusammen mit Kay die Bewässerungskanäle erforschen. Ahmose hätte ihn lieber bei sich gehabt, und das kam noch
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