Die Strasse des Horus
Turi und Sobek-chu sollen ihre Divisionen aufstellen, für den Fall, dass die Tore aufgehen.«
»Hoffst du darauf, Majestät?«, fragte Kay erwartungsvoll. »Dann bitte ich dich um Erlaubnis, die Norden gegenüber den Toren zu Apophis’ Festung vertäuen zu dürfen, Majestät.«
»Wo die Norden hinkommt, bestimmen deine Vorgesetzten«, sagte Ahmose. »Und was meine Hoffnungen angeht, so glaube ich nur, dass wir den Beginn von Apophis’ Untergang sehen, und darum müssen wir bereit sein.« Er hob die Schultern. »Aufgeben wird er gewiss nicht. Ramose, lass meinen Streitwagen bringen, wenn du fertig bist.«
Er, seine Generäle und seine Streitmacht warteten Nacht um Nacht kampfbereit, während der hin und her huschende rötliche Schein jenes makabren Feuers die Morgenröte ersetzte und die Sterne auslöschte. Bisweilen flackerte er nur noch gelegentlich, aber ganz erstarb er nie, und der Brandgeruch haftete an Haaren, Kleidern und Nahrung, sodass die Ägypter das Zeugnis des Todes trugen, einatmeten und aßen.
So vergingen zwei Wochen, und der Choiak ging zu Ende. Allmählich sank der Wasserstand im Nebenarm und in den Kanälen rings um die Stadt. Am ersten Tag im Tybi feierte der Rest eines sauberen, gereinigten und unter der Maat von den Göttern gesegneten Ägyptens das Krönungsfest des Horus. Für Ahmose war das Delta jetzt keine gesegnete Gegend mehr. Es war eine Abweichung von der Regel, ein namenloser Ort, an dem er in einem ständigen grauen Nebel leben und einen Feind stellen musste, der sein Gesicht nicht zeigen wollte.
Was mache ich, wenn Apophis gar nichts unternimmt?, fragte er sich in den endlosen dunklen Stunden, wenn an Schlaf nicht zu denken war. Wie hält er das Leiden seines Volkes aus? Wie halsstarrig ist er? Was mache ich, wenn der Nebenarm auf sommerlichen Stand fällt, die Gräben östlich der Hügel austrocknen und ich meine Flotte abziehen muss?
Er hatte keine Antworten, keinen Traum, in dem ihm sein Vater oder Bruder erschienen wäre, kein Bild von Amun, der die Siegessymbole hielt. Neiderfüllt dachte er an die Frau, die Kamoses Gedanken beherrscht und ihm letztlich das Herz gestohlen hatte. War Kamose weniger klug, weniger scharfsichtig als ich, dass du ihn so bevorzugt hast?, fragte er den Gott, während er vor dem Schrein in seinem Zelt kniete. Oder schätzt du ihn gerade wegen seiner Besessenheit höher? Aber ich bin derjenige, den du zum König bestimmt hast. Höre mich, großer Amun. Ich will keine Belohnungen haben. Ich will nicht einmal eine Vision haben. Gib mir diese Stadt, diese Beute, für die mein Bruder gestorben ist. Gib sie mir und nenne deinen Preis, denn ich bin müde und an einem Punkt angelangt, an dem es keinen Ausweg mehr gibt außer Rückzug.
Er wartete, doch nichts störte die Stille ringsum. Schließlich erhob er sich, huldigte Amun, ehe er die Türen des Schreins schloss und nach draußen ging. Auaris leuchtete noch immer. Die Luft stank noch immer. Er wünschte dem Getreuen vor dem Zelt eine gute Nacht und zog sich zurück, lauschte den leisen, unauffälligen Geräuschen vor dem Zelt, während ihm andere Auswege durch den Kopf schossen, ein jeder abartiger als der andere, und wie sehr er sich auch bemühte, seine Gedanken ließen sich nicht beruhigen.
Doch dann weckte ihn ein Geräusch vollends, das er lange nicht gehört hatte, und sein Körper reagierte, er stolperte nach draußen und merkte, dass es unmelodiöse Hornstöße waren. Die Sonne stieg gerade über den östlichen Horizont. Vögel flogen über das Wasser, lärmten bei ihrer Morgenmahlzeit. Die Bäume waren feucht betaut. Ahmose jedoch nahm nichts davon wahr, er hörte nur die harsche, tonlose Musik, die aus der Stadt kam, und rings um ihn rannten die Ägypter durcheinander, als ob man einen Stein in einen Ameisenhaufen geworfen hätte. Ahmoses Herz setzte einen Schlag aus, dann hämmerte es schmerzhaft. »Chabechnet!«, rief er. »Wo steckst du?«
»Hier, Majestät.« Der Herold kam herangekeucht. Er rannte zu Ahmose, band sich dabei den Schurz um und hielt eine Sandale noch immer in der Hand.
»Laufe zu Machu. Ich will sofort meinen Streitwagen haben. Du wirst auch einen brauchen. Ich will Berichte. Ich will Ramose. Sag ihm das, aber das kommt als Letztes.« Der Herold machte kehrt und sauste fort. Ahmose wandte sich an Harchuf, Anchmahors Sohn, der vorübergehend die Getreuen des Königs befehligte. Der war auch halb angekleidet, umklammerte jedoch seinen Schwertgurt. Bogen und Köcher
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