Die Straße nach Eden - The Other Eden
sich dann wieder in das Bild der Motte, die zu einer blassen, durch das Dunkel schwebenden Rose wurde.
Ich schlug die Augen wieder auf. Alexander beugte sich mit gefurchter Stirn über mich. »Eleanor? Was ist denn?«
»Die Rosen.« Ich schloss die Augen wieder, weil das durch das Fenster hereinströmende Licht mich schmerzhaft blendete.
Alexander umschloss mein Gesicht sanft mit beiden Händen. »Wovon redest du?«
Ich wollte seine Stimme ausblenden, wieder in einem tröstlichen Nebel der Benommenheit versinken, doch die Bilder, die vor meinem geistigen Auge vorbeizogen, ließen sich nicht vertreiben: ein kleines, weiß gekleidetes Mädchen, das die Nase in einen Strauß für sie viel zu pompöser Rosen vergräbt, eine zerbrechlich wirkende Frau, gleichfalls in Weiß, mit großen, furchterfüllt geweiteten Augen…
»Taschas Krankheit«, sagte ich langsam. »Bei ihr verhielt es sich genauso wie bei meiner Großmutter, es gab keine offensichtliche Ursache dafür.«
»Eleanor?«
Ich grub die Nägel in seine Hand und zwang meinen betäubten
Verstand, das volle Ausmaß meiner Schlussfolgerungen zu erfassen.
»An dem Tag, an dem Dorian uns zum ersten Mal auf Eden besucht hat, hat er Tascha Rosen geschenkt«, erklärte ich. »Warum hast du sie an ihr Bett gestellt?«
»Das war ich nicht.« Alexanders Augen ruhten zwar auf meinem Gesicht, schienen jedoch etwas ganz anderes zu sehen. »Mary hat sie ihr gebracht, als sie über die ersten Beschwerden geklagt hat.«
»Danach verschlechterte sich ihr Zustand plötzlich«, fuhr ich fort, da ich ihm ansah, dass er zu begreifen begann, worauf ich hinauswollte. »Meine Großmutter litt auch jahrelang unter einer Krankheit, die kein Arzt korrekt diagnostizieren konnte. An dem Abend, an dem ich an Taschas Bett gesessen habe, während du schliefst, habe ich die Rosen fortgeworfen. Und am nächsten Morgen ging es ihr besser.«
Alexander schüttelte den Kopf. »Warum sollte Dorian Tascha etwas zu Leide tun? Sie ist doch nur ein Kind.«
»Ich glaube, dass die Rosen eigentlich für mich bestimmt waren. Aber dann hat er Tascha gesehen und vielleicht eine noch bessere Gelegenheit gewittert.«
Alexander seufzte tief. »Möglich. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das alles mit deiner Großmutter zu tun haben könnte.«
Ich schüttelte den Kopf und bereute es sofort, als gelbe Blitze vor meinen Augen aufzuckten und der Raum erneut um mich verschwamm. Insgeheim wünschte ich allen, die mich in diesen erbärmlichen Zustand versetzt hatten, die Pest an den Hals.
»Wenn ich doch nur klar denken könnte…«
»Genau das solltest du jetzt nicht tun, Eleanor. Du musst dich erholen, und dazu brauchst du viel Ruhe.«
»Ich werde mich nicht erholen«, versetzte ich tonlos.
»Nicht, so lange es seinen Plänen dienlich ist, mich in dieser Verfassung zu halten.«
»Vergiss nicht, dass du diese Verfassung mir zu verdanken hast.« Er schwieg einen Moment. Seine Kiefer mahlten. Dann fuhr er fort: »Warte ab, bis die Wirkung des Medikaments vollständig verflogen ist, dann kannst du mit Mary vielleicht auch wieder vernünftig reden. In der Zwischenzeit werde ich mir irgendetwas einfallen lassen.«
Ehe ich etwas darauf erwidern konnte klopfte es kurz, fast geschäftsmäßig an der Tür, und Mary betrat den Raum, gefolgt von einem hoch gewachsenen Mann mit schütterem grauen Haar und einem langen, herabhängenden Schnurrbart.
»Eleanor, der Doktor möchte dich jetzt gern untersuchen. Alexander, wenn es dir nichts ausmacht…«
»Natürlich nicht…«, begann er, aber da mir dieser Arzt auf den ersten Blick unsympathisch war, mischte ich mich hastig ein.
»Alexander kann ruhig bleiben.«
Mary runzelte missbilligend die Stirn, doch es war der Arzt, der das Wort ergriff. »Ich würde es vorziehen, mit Miss Rose zunächst unter vier Augen zu sprechen. Danach bin ich gerne bereit, Mr …«
»Trewoschow«, stellte sich Alexander vor.
»Mr Trewoschow Rede und Antwort zu stehen, wenn er es wünscht.«
Ich machte erneut Anstalten, Einwände zu erheben, doch Alexander brachte mich mit einem Blick in Marys Richtung zum Schweigen. Widerwillig fügte ich mich seinem stummen Befehl; ich wusste, dass er Recht hatte - besser, ich ließ die Untersuchung des Arztes über mich ergehen, wenn ich meine überbesorgte Freundin später davon überzeugen wollte, dass ich geistig völlig gesund war.
Alexander erhob sich. Ich hielt ihn zurück, nahm Eves Tagebuch von meinem Nachttisch und reichte es
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