Die Strasse ohne Ende
gehöre ich der Literatur an und stehe im Lexikon!« Sie lachten beide, und doch war bei Hilde ein gequälter Ton dazwischen.
Den ganzen Tag bummelte sie dann durch Berlin. An der Sektorengrenze am Potsdamer Platz stand Hilde über eine Stunde und schaute in den sowjetischen Sektor hinüber.
Als ein Herr von ziemlich zweifelhafter Eleganz sie ansprach, wandte sie sich ab und ging zurück, trank in einem kleinen Café eine Tasse Kaffee und aß ein Stück Buttercremetorte, die stark nach Margarine schmeckte. Dann ging sie noch einmal die Läden ab, die sie mit ihren kleinen kunsthandwerklichen Arbeiten beliefert hatte. Dort lag im Fenster ein weißer Wollschal mit langen Fransen; er war auf dem Handwebstuhl mühsam gearbeitet worden. Das kleine Aquarell in dem Laden an der Joachimstaler Straße war eine fortgeschrittenere Arbeit, eine Partie vom Müggelsee, zart in den Farben, atmosphärisch aufgelöst, schwebend und leicht wie ein Sisley, eine Komposition von Form und Phantasie.
Gegen Mittag kam sie müde nach Hause und legte sich nach dem Essen aufs Bett.
Noch einen halben Tag und eine Nacht!
Dann würden die vier stählernen Propeller des Flugzeugs sich erst langsam, dann immer schneller drehen, ein Zittern würde durch den glänzenden Leib fliegen, am Eingang zur Kanzel würde das große Schild mit den Leuchtbuchstaben aufflammen: »Nicht rauchen! Bitte anschnallen!«, und dann würde die Erde sich bewegen, aus den kleinen, drehbaren Lüftungsdüsen oberhalb des Sitzes an der Flugzeugwand würde die Luft zischen und wohltuend die Hitze im Inneren ausgleichen. Berlin lag dann unter ihr, das weite Häusermeer, die Havel, die Seen. Felder glitten vorbei, Dörfer; immer höher schraubte sich die Maschine. Die Wolken jagten in Fetzen an den runden dicken Fenstern vorbei, die Sonne blitzte auf dem metallenen Leib. Es mußte ein unvergeßliches Erlebnis sein.
Der Abend kam.
Wieder flammte Berlin in Lichtern auf. Die sieben siamesischen Katzen der Lehrerswitwe begannen ihr Abendkonzert auf dem Hausdach neben dem Kamin. Bankkassierer Wuttke schimpfte und drohte, Herr Pfeil saß an der Schreibmaschine und klapperte neue Kurzgeschichten und Gedichte, Frau Brehmge spülte das Geschirr, und der Tenor war in der Oper und sang im Chor: »Heil sei dem Tag, an dem du uns erschienen …« Da mußte Hilde lachen, und die bedrückende Schwere des Abschieds fiel von ihr ab.
Ruhig, ohne Traum, verschlief sie die letzte Nacht.
Als der Wecker um vier Uhr rappelte, brauchte sie einige Zeit, um sich zurechtzufinden. Dann sah sie die gepackten Koffer an der Tür stehen und wußte, daß es kein Zurück mehr gab.
Um halb fünf Uhr schlich sie auf Zehenspitzen aus der Wohnung und aus dem Haus. Noch waren die Straßen wie ausgestorben. Die Häuser schliefen mit zugezogenen Fenstern.
Sie winkte ein einsam herumfahrendes Taxi heran und ließ sich nach Tempelhof bringen.
Auf dem matt in der Morgensonne glänzenden Rollfeld stand schon die silberne Maschine. Im Flughafenrestaurant saßen sieben von den dreizehn Mädchen und warteten. Sie scherzten mit amerikanischen Piloten, die von einem Nachteinsatz zurückgekehrt waren. Hilde wurde mit Hallo und Händeschütteln begrüßt und dann ausgefragt. Es waren hübsche junge Mädchen; einige zwar sehr stark geschminkt, aber das gehörte wohl zum Beruf einer Tänzerin.
»Laßt uns erst drüben sein«, rief eines der Mädchen, eine auffallende Blondine, die sich einfach mit Evi vorstellte. »Wir werden den dicken Paschas schon die Taschen leermachen!«
Still saß Hilde in einer Ecke und blickte durch das breite Fenster auf die Startbahn.
Ein Tankwagen rollte heran; lange Schläuche wurden in das Flugzeug gezerrt. Die Männer vom Wetterdienst sprachen mit den Piloten. Ein Steward brachte die Passagierlisten und verglich sie mit denen des Zolls. Um fünf Uhr traf Baron von Pertussi ein und begrüßte die Mädchen mit keckem Wangentätscheln. Nur bei Hilde zögerte er einen Augenblick, dann gab er ihr die Hand. »Vergessen Sie mich bitte in Afrika«, sagte er leise. »Das war es, was ich Ihnen noch sagen wollte.«
Hilde nickte, aber sie verstand ihn nicht.
Noch nicht …
Um halb sechs Uhr hob sich das Flugzeug in die Luft und drehte eine Abschiedsrunde über dem Flugplatz. Dann stieß es durch die Wolken nach Westen.
In der Funkkabine surrten die Apparate.
Alles in Ordnung. Kurs West-Nordwest.
Pertussi stand allein auf dem Rollfeld und blickte der entschwundenen Maschine nach. Seine Haare
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