Die Strasse ohne Ende
flatterten im Wind und flogen ihm über die Augen.
»Abschiednehmen ist schwer«, meinte ein vorbeigehender Steward.
Pertussi nickte. »Ja … ja, gewiß.« Er wandte sich ab und ging langsam zu seinem Wagen zurück.
In Algier, am Pier des Hafenbeckens III, wartete in wenigen Tagen der Händler Omar Ben Slimane.
Der Mann, der mit weißen Mädchen handelte …
Im Hafen von Bremen lag seit drei Tagen der 5.000-t-Dampfer ›Esmera‹, ein Passagierschiff, das unter italienischer Flagge fuhr. In diesen drei Tagen war es beladen worden, vor allem mit Autos aus den Bremer Werken, und wartete nun auf die Passagiere.
Dr. Paul Handrick war unter den ersten, die das Fallreep hinaufgingen und ihre Schiffskarte mit dem Paß vorzeigten.
»Kabine achtzehn«, sagte der Zweite Offizier höflich und grüßte. »Erster Stock, Signore.«
»Danke.«
Ein Steward nahm die Koffer ab, während ein Träger die beiden großen Kabinenkoffer auf das Schiff fuhr. Auf dem Hinterdeck surrten noch die Kräne und luden Kisten in den Bauch der Ladebunker. Der Erste Ingenieur kommandierte mit lauter Stimme; sein singendes Italienisch klang weit über das Schiff.
Dr. Handrick blickte zum Kai zurück. Die Kirchtürme Bremens hoben sich gegen den sonnigen Himmel wie Scherenschnitte ab. An den Nebenpiers wurden Lastschiffe und Tanker beladen. Ein Zollboot durchschnitt mit breiten Furchen das brackige Hafenwasser. Die schwarzrotgoldene Fahne am Bug knatterte im Zugwind. Irgendwo in dem Gewirr der Eisenkräne, Werften und Docks heulte eine schrille Sirene auf.
»Suchen Sie etwas, Herr Doktor?« fragte ein Offizier mit breiten goldenen Armstreifen.
»Nein, danke. Sie sind der Kapitän?«
»Ja, Signore. Mario Bretazzi. Sie sind Arzt, Signore? Ich sah es aus den Listen.«
»Ja. Internist.«
»Darf ich Sie heute abend zu mir an den Tisch der Offiziersmesse bitten? Unser Schiffsarzt möchte Sie gerne kennenlernen. Ich fürchte, wir werden Sie während der Fahrt belästigen müssen.«
Dr. Handrick sah den Kapitän voll Interesse an. »Ist jemand von der Mannschaft krank?«
Mario Bretazzi lachte. »Ja, der Arzt.«
»Das ist gut!« Dr. Handrick gab dem Kapitän die Hand. Eine schmale, lange, weiße Hand, sehnig und trainiert. »Ich werde Ihrer Einladung gerne Folge leisten.«
»Danke, Herr Doktor.«
Dr. Handrick sah Bretazzi nach, wie er über den Gang der Ersten Klasse zum Fallreep ging. Ein großer, starker Mann, windgebräunt, mit einem schwarzen, schmalen Bart über der Lippe. Ein Norditaliener, dachte Handrick. Er könnte aus der Po-Ebene kommen oder aus Padua, Florenz, Verona. Dann wandte er sich ab und trat in seine Kabine. Der Steward hatte schon die Koffer an ihre Plätze gestellt und für ein kleines Kaffeegedeck gesorgt.
Mit einem zufriedenen Murmeln schälte sich Handrick aus seinem Staubmantel, legte den Rock ab und wusch sich die Hände. Dann trank er im Stehen Kaffee und trat wieder hinaus, lehnte sich gegen die Reling und beobachtete die Ankunft der anderen Passagiere.
Das bunte Leben einer Schiffsabfahrt umflutete ihn. Auf dem Sonnendeck begann die Bordkapelle zu spielen – italienische Märsche, Tanzmusik; im Lärm des erwachenden Hafentages gingen die Töne fast unter. Am Fallreep verhandelte der Erste Offizier mit einer dicken Dame, die erregt schnaufte und mit den Armen um sich fuchtelte. Anscheinend war der Paß nicht ganz in Ordnung. Einer der deutschen Zollbeamten in der grünen Uniform wurde gerufen und nahm die Dame etwas beiseite, um den Weg für die nachdrängenden Passagiere frei zu machen.
Gegen neun Uhr morgens betrat ein Schwarm hübscher junger Mädchen den Dampfer. Sie kamen laut lachend und vergnügt auf den langen Gang und wurden von einem Matrosen auf das Oberdeck geführt. Dr. Handrick sah ihnen lächelnd nach, wie sie mit wippenden Röcken die steile Treppe emporkletterten und ihre Kletterkünste mit Kichern begleiteten. Dann hörte er über sich auf dem Deck das Trappeln der Schuhe.
Der Zweite Offizier, der an ihm vorbeiging, sah sein Lächeln und nickte. »Nette Käfer, was, Herr Doktor? Eine Girltruppe. Alles Berlinerinnen.«
»So? Berlinerinnen?« Dr. Handrick ging den Gang entlang bis zu der Treppe, die zum Oberdeck führte. Von dort aus konnte er einen Teil der Zweiten und der Touristenklasse des Schiffes überblicken und sah mit Erstaunen, wie eine der Tänzerinnen am Geländer zum Sonnendeck stand und unbeweglich zu den Piers hinüberblickte. Ihre Koffer standen neben ihr. Das schwarze Haar
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