Die Strasse ohne Ende
ist nur durch einen dunklen Gang zu erreichen, der an der großen und stinkenden Küche vorbeiführt, in deren Tür der Wirt auf einem Korbsessel sitzt und seine Gäste überwacht.
Omar Ben Slimane war nicht dabei, als die dreizehn Mädchen in das Hôtel des Pyramides geführt wurden. Er war mit seinem Dodge vorausgefahren und traf am Abend drei dicht in ihre Djellabahs gehüllte Araber, die aus den Oasen Biskra, Bou Saâda und Touggourt in einer tagelangen Reise nach Algier gekommen waren. So hörte er auch nicht das Schimpfen und sah nicht das erste verzweifelte Weinen der Mädchen, als sie in ihren dumpfen, dunklen und schimmeligen Löchern hockten, das schmutzige Bett voll Ekel betrachteten und den Kopf schluchzend in die Hände legten.
Auch Hilde war maßlos entsetzt von dem Schmutz, in den man sie geführt hatte, und rannte sofort zum Wirt hinunter. »Wo haben Sie das Telefon?« fragte sie.
Der Wirt schüttelte den Kopf und machte die Bewegung des Nichtverstehens.
»Telefon!« sagte Hilde langsam und laut und führte die Hand so an die Ohren, daß man deutlich ein Telefonieren herauslesen konnte.
Der Wirt grinste und schüttelte den Kopf. »Non«, sagte er vergnügt. »Nix Telefon.« Aber als Hilde das Hotel verlassen wollte, stellte er sich ihr in den Weg und sagte drohend: »Bleiben! Nix gut weggehen! Auf Zimmär! Allez!«
Einen Augenblick blieb Hilde betroffen stehen, ehe sie begriff, was der dicke Wirt gesagt hatte. Dann riß sie sich los und wollte aus dem Haus rennen, aber der Wirt stürzte sich auf sie und drückte sie gegen die Wand.
»Auf Zimmär!« brüllte er. »Vite, vite, ou …« Er hob die Faust und schwang sie vor Hildes Gesicht hin und her. Dann faßte er sie an den Armen, riß sie mit sich fort, den dunklen Gang entlang, und schob sie die steile Treppe hinauf. »Nix weggehen!« sagte er etwas leiser, um die anderen Mädchen nicht aufmerksam zu machen. »Omar böse …« Er setzte sich mit seiner ganzen Fülle wie eine lebende Mauer auf die unterste Treppenstufe.
Unschlüssig stand Hilde auf der Treppe. Die Angst war verflogen, auch Tränen kamen ihr nicht mehr in die Augen; nur Wut, sinnlose, ohnmächtige Wut hatte sie ergriffen. Sie starrte von der Treppe hinab auf den runden Turban des Wirtes und wünschte sich eine Stange oder einen Hammer, um diesen Kopf zu zertrümmern.
Der Wirt saß lächelnd auf den Stufen und betrachtete seine Hände. Vielleicht wartete er auf den Angriff. Er hob den Blick lauernd nach oben und hatte sich nach vorn geduckt.
Langsam wandte sich Hilde um und ging zögernd die Treppe hinauf. Sie sah, daß es sinnlos war, jetzt etwas zu unternehmen, was von Beginn an scheitern mußte. Plötzlich, völlig unverhofft, mußte der Angriff kommen, er mußte vorbei sein, ehe man sich gegen ihn wehren konnte. Aber noch während sie das dachte, glomm wieder die Wut in ihr empor, so drängend, daß sie noch einmal die schon emporgestiegenen drei Stufen hinabsprang und den Wirt mit aller Kraft in den Rücken trat.
Grunzend fiel er nach vorn und lag auf dem schmierigen Boden des Flures. Er richtete sich wortlos auf und drehte sich nicht einmal um, doch in seinen Augen stand Haß, blanker Haß. Langsam ging er den Flur entlang und setzte sich wieder in seinen Korbsessel. Er hörte gespannt, wie Hilde die Treppe emporstieg und auf dem oberen Flur die wackelige Tür ihres Zimmers quietschte. Dann war es still in dem Hôtel des Pyramides; nur in dem stinkenden Hof rauften sich zwei Katzen um einen Fischkopf, der faulend auf dem Müll lag.
In ihrer Wohnhöhle stand Hilde an dem kleinen Fenster und blickte auf das viereckige Stück Himmel, das blau und voll Sonne über dem bröckelnden Lehmbau stand.
Wenn Paul das wüßte! dachte sie. Wenn er ahnte, wie ich hier lebe! Ich wäre nie nach Afrika gegangen, wenn ich das alles vorher gewußt hätte. Ob es Pertussi in Berlin gewußt hat? Oder hatte man ihn mit Versprechungen genauso betrogen wie sie? Wie mochten die Lokale aussehen, in denen sie auftreten mußte, wenn dieses Hotel gut genug war, die Tanztruppe zu beherbergen?
Ein schwacher Trost war in ihr: Ich kann von den Lokalen aus anrufen, zwischen den Pausen der Auftritte. Dann wird Paul kommen und mich aus diesem Sumpf herausholen!
Wird er wirklich kommen? durchfuhr es sie plötzlich. War denn alles ernst, was auf der ›Esmera‹ gesprochen wurde, oder war alles nur ein Reiseflirt gewesen, eine dumme Plauderei, um die Zeit der Überfahrt zu verkürzen? Hatte er sie schon
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