Die Strasse ohne Ende
Sie standen eng umschlungen auf ihrem Lieblingsplatz, an der Reling des weiten Sonnendecks, und blickten über die weiße Stadt am roten Felsen. »Du mußt mich sofort anrufen, hörst du, Algier 2 38 57, Hygienisches Institut. Wenn es möglich ist, komme ich sofort und spreche mit deinem Manager.«
Sie nickte und hatte seinen Arm mit beiden Händen umklammert. Wie ein Kind, das man von der Mutter reißen will, drängte sie sich an ihn. Unbeschreibliche Angst würgte ihr in der Kehle. »Eine herrliche Stadt«, sagte sie tapfer, aber man hörte es am Klang ihrer Stimme, daß sie log.
Dr. Handrick nickte. Er blickte zu den weißen Häusern der Europäerstadt und den geschachtelten Hütten der Kasbah, dem Berg mit der Türkenfestung und dem riesigen Palast des Sultans hinüber.
»Wann wirst du in Algier tanzen?«
Hilde zuckte mit den Schultern. »Das alles weiß ich noch nicht. Das bestimmt allein der Manager.«
»Ein Europäer?«
»Auch das weiß ich nicht. Man sagte uns bloß: ›Ihr werdet abgeholt.‹«
Sie küßten sich noch einmal, und Hildes Augen waren voller Trauer, als er ihr über das Haar strich und sie zur Treppe brachte, die hinab auf das Hauptdeck führte. Dort standen die anderen zwölf Mädchen und warteten ungeduldig auf das Anlegen des Schiffes.
»Ich bleibe in deiner Nähe«, sagte er, als sie den Fuß auf die erste eiserne Sprosse der Treppe setzte. »Du brauchst keine Angst zu haben. Afrika ist heute zivilisierter, als du denkst. Überall gibt es Menschen, die uns helfen werden. Nur Mut, Hilde, nur Mut.«
Sie nickte tapfer und kletterte die Treppe hinab. Still mischte sie sich unter die anderen Mädchen und sah auf die wartende Menschenmenge und auf Omar Ben Slimane hinab.
Omar hatte die Bordwand mit den Blicken abgetastet. Er sah die dreizehn Mädchen an der Reling und blickte auf die große goldene Armbanduhr, die er um sein fettes Handgelenk trug.
Am Ende des Fallreeps, auf dem Boden Afrikas, umschwärmt von Händlern, Bettlern und Gepäckträgern, die Omar brutal und wortlos mit den Fäusten auseinanderstieß, begrüßte er die Mädchen in vier Sprachen und gab ihnen die Hand. »Ich freue mich sehr«, sagte er. »Sie werden es schön haben in Afrika. Ein gutes Hotel, gute Gage, gute Engagements. Sie werden es nicht bereuen, nach Afrika gekommen zu sein.« Er wollte sich abwenden und, den Mädchen den Weg weisend, vorangehen, als er von einem Arm zurückgehalten wurde, der sich quer vor seine Brust legte.
Erstaunt drehte sich Omar um und sah sich einem großen Europäer gegenüber. Einen Augenblick kniff er die Augen zusammen, aber dann sagte er sich, daß niemand wußte, was sein Beruf in Algier war, und deshalb keinerlei Gefahr von einem Weißen kommen konnte. »Bitte?« sagte er steif.
»Wohin kommen die Mädchen?« fragte Dr. Handrick.
Omar lachte. Es war ein feindliches, gefährliches Lachen. »Was geht Sie das an?«
»Sehr viel. Ich fühle mich für eines dieser Mädchen verantwortlich.«
»Das kann nicht der Fall sein.« Omar zog sein Bündel Papiere aus der Rocktasche und blätterte darin herum. »Aus Berlin wurde mir mitgeteilt, daß alle Mädchen ohne Anhang sind.«
»Das stimmt.«
»Also.« Omar schob Dr. Handrick zur Seite. »Stehen Sie mir bitte nicht im Weg. Meine Zeit ist mein Geld.«
»Das mag sein.« Dr. Handrick stellte sich ihm gegenüber. »Ich möchte nur wissen, wohin die Mädchen kommen. In welches Hotel? Dann bin ich zufrieden.«
Omar sah sich um. Der Pier III hatte sich schon merklich geleert – die meisten Reisenden eilten zu den Taxis, die auf der Hafenstraße warteten.
»Wenn Sie nicht aus dem Weg gehen, schaffe ich mir Platz«, sagte Omar freundlich. »Ich schlage Sie einfach zu Boden.«
»Davor wird mich die Polizei schützen.«
»Polizei!« Omar winkte geringschätzig ab. »Sie sind hier in Algier, nicht in Europa, mein Herr. Ehe die Polizei kommt, liegen Sie schon im Hafenwasser, und keiner fragt mehr, wer Sie hineingeworfen hat. Ich habe innerhalb fünf Minuten zwanzig Zeugen, daß ich es nicht war!«
»Ach so!« Dr. Handrick ging aus dem Weg. Er sah zu Hilde hin, die ihm erstaunt zugehört hatte.
Das kurze Gespräch wurde in elegantem Französisch geführt, und da Omar lächelte, war anzunehmen, daß die Unterhaltung in freundschaftlichem Sinne geführt worden war. Handrick sah dies an dem Blick Hildes, und er verbiß sich die Wahrheit. Er nickte ihr zu und versuchte ebenfalls zu lächeln. »Wir sehen uns heute abend«, sagte er. Da er
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