Die Strasse ohne Ende
Schleiern stehen an den Ständen, die halb auf die Gasse gebaut sind, und kaufen in geflochtenen Körben die flachen Mehlfladen oder das Hammelfleisch, auf dem sich am Tag knäuelweise und schwarz die Fliegen sammeln. Händler mit langen Ketten aus Jasminblüten steigen die Treppenstraßen hinab in die Außenviertel der Kasbah, um sie den wenigen Touristen anzubieten, die schaudernd einen Blick in diesen Sumpf Nordafrikas werfen. Blinde Kinder oder schrecklich anzusehende Krüppel sitzen bettelnd an den Ecken und murmeln ihre Bitte um Geld. Sie starren von Schmutz und legen sich müde auf die faulige Erde, wenn der Tag herum ist und das Betteln gerade für einen Fladen gereicht hat.
Die Luft ist dick, stickig, voll Verwesungsgeruch. Sie legt sich beklemmend auf das Herz, man hat das Gefühl, sich vor Ekel übergeben zu müssen. Und dann taucht in diesem Schmutz, in diesem glucksenden Sumpf, ein Gesicht auf, nur ein Paar Augen, schwarz, groß, sehnsüchtig, voll Versprechen, ein Paar Augen unter einem seidenen Schleier, der bis über die Nasenwurzel reicht. Eine schmale, sylphidenhafte Gestalt huscht vorüber, sie hält die Hände vor die Brust, Hände, die innen gelbrot sind, ein Haarbusch weht unter dem weißen Schleier. Auch er ist rot. Ein süßer Duft umgibt dich. Henna, die Schminke der arabischen Frau. Und man beginnt Afrika zu lieben, dieses schreckliche, dreckige, widerliche, fast verfaulende Afrika in den Höhlengängen der Kasbah. Man hat die Augen gesehen, diese schwarzen, großen, wundervollen Augen, und solange es solche Augen mit so viel Sehnsucht gibt, so lange wird Afrika das ewig alte und ewig junge Land sein, das eine Zukunft hat wie kaum ein Erdteil unserer Welt.
Das alles ist Algier.
Algier, die weiße Stadt am blauen Meer.
Die Stadt auf dem roten Felsen.
Die Stadt, die emporsteigt wie das Rund eines klassischen Amphitheaters.
Algier, der große Schwamm aller Rassen und Völker, Schicksale und Hoffnungen. Der Hafen, die Stadt der Fremdenlegion, der geheime Platz arabischer Rebellen, die Stadt der Abenteurer und menschlichen Haifische.
Auch die Stadt Omar Ben Slimanes.
Mit lauten Sirenen lief die ›Esmera‹ im Hafen von Algier ein. An Pier III rannten die Arbeiter zu den Ankerplätzen, der Zoll fuhr dem Schiff in einem Motorboot entgegen, um während der Einfahrt schon die Papiere zu prüfen. An der langen Mauer des Boulevard de la République standen Araber und Inder, Berber und Mischlinge aller Rassen und beobachteten das Anlegemanöver. Die ersten Bettler hinkten und tasteten sich zum Hafen, Obsthändler und Teppichverkäufer, Postkartenjungen und Kofferträger drängten sich an der Stelle, wo das Fallreep der ›Esmera‹ herunterfahren würde.
Omar Ben Slimane stand in der Masse der wartenden Leute und sah dem Schiff mit unbewegter Miene entgegen. Er trug einen europäischen Anzug, hellbeige, modern, vom besten Schneider Algiers gebaut. Sein braunes, rundes Gesicht war glattrasiert. Die schwarzen Haare klebten um den Kopf, es roch in seiner Nähe nach Rosenpomade, die Omar besonders liebte. Nur der hellrote Fez, der auf dem gelackten Haar saß, erinnerte an den Moslem. Und vielleicht auch, wenn man genau hinblickte, die kleine goldene Kette, die sich um seinen Hals schlang und in dem Kragen des rohseidenen Hemdes verschwand. Am Ende dieser Kette hing auf der Brust ein kleiner, winziger Koran, das Zeichen der Mekkapilger.
Am Eingang des Piers III stand ein großer, hellgrauer Dodge. Ein Chauffeur in weißem, seidenem Burnus und Turban wartete unbeweglich hinter dem weißen Steuer.
Ab und zu, während die ›Esmera‹ in den Hafen geleitet wurde und die Begleitboote die Leinen abwarfen, griff Omar an die Brust und fühlte die dicken Papiere, die in seiner Innentasche steckten. Frachtpapiere über dreizehn Mädchen aus Deutschland, Belgien, Holland und Dänemark.
Als die hohe Bordwand der ›Esmera‹ vor ihm auftauchte und an die Kaimauer schrammte, kniff er einen Augenblick die Augen zusammen und musterte die Passagiere, die winkend und rufend an der Reling standen.
Das Geschrei der Händler übertönte die Bordkapelle, die zur Begrüßung einen Militärmarsch spielte. Kapitän Mario Bretazzi stand auf der Brücke und blickte über das Gewühl des Hafens. Auf seinen goldenen Armstreifen blitzte die Sonne. Der Erste und der Zweite Offizier standen auf dem Hauptdeck mit den Zollbeamten zusammen und verglichen die Paßlisten.
»Nun ist es soweit, Hilde«, sagte Dr. Handrick leise.
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