Die Strasse ohne Ende
legte sie sich auf das Bett und deckte sich mit ihrem Staubmantel zu. Dann starrte sie an die Decke, an diese rohe, unverputzte Lehmdecke, durch die das Geflecht hindurchschien.
Unten im Flur jammerte aus einem Radio arabische Musik. In dem kleinen Gastzimmer spielten ein paar Händler an niedrigen Tischen, vor denen sie auf Bastmatten hockten, ihr Dominospiel. Der Wirt saß unter ihnen und trank seinen Kaffee aus einem schmalen, hohen, dicken Glas.
Auf der Straße ging eine Patrouille der französischen Gendarmerie vorbei.
In der Kasbah keine Vorkommnisse, würde sie nach einer Stunde melden. Alles ruhig. Und man würde in das Dienstbuch eintragen: In der Kasbah, wie gestern, nichts Neues.
Die Mauern der Häuser in der Kasbah sind schmutzig und bröckelnd. Das Alter zerstört sie. Es sind Mauern ohne Fenster, mit einer Tür, die wie ein Loch ist. Und die Straßen stinken nach Kot und Fäulnis. Auch die Polizei ist froh, schnell ihre Runde beendet zu haben. Gerade des Nachts, wenn die Kasbah schläft. Dann sind die Häuser schwarze Wände, tot und schweigend. Und keiner weiß, was hinter diesen toten Wänden geschieht.
Auf der Polizeistation war man ratlos.
Nichts war bekannt davon, daß ein Transport deutscher und andersstaatlicher Mädchen nach Algier gekommen war, um hier als Tänzerinnen aufzutreten. Man zuckte mit den Schultern und sah Dr. Handrick mitleidig an.
»Afrika«, sagte der Kommissar und tippte mit seiner Gerte auf den Tisch. »Wir haben kolonisiert, das Land, Monsieur, nicht aber die Araber! Sie werden ewig unerreichbar sein. Wir haben keine Macht, Mademoiselle Sievert aus den Händen Omars zu befreien – ganz davon abgesehen, daß wir diesen Omar nie finden werden.«
»Aber er muß doch als Theateragent eingetragen sein!«
Der Kommissar winkte sarkastisch ab. »Wir haben alles, Monsieur. Aber wir haben in der Liste keinen Omar. Das ist es eben.«
»Dann ist er ein Mädchenhändler!« schrie Handrick außer sich. Er umklammerte die Lehne des Stuhls. »Ich bitte Sie, Herr Kommissar, ich flehe Sie an: Befreien Sie die dreizehn Mädchen! Mädchenhandel unter den Augen der französischen Polizei! Sie müssen doch etwas tun!«
»Das werden wir auch. In Europa wäre es kein Problem, Monsieur. Aber in Afrika schwören sie tausend Meineide, um sich gegenseitig zu schützen. Und es gilt bei ihnen nicht als Sünde, denn wir sind ja in ihren Augen Ungläubige, die man belügen darf. Man dient Allah damit. Das ist die Mentalität, der wir nichts entgegenzusetzen haben als eben nur die Gewalt, wenn wir hundertprozentig im Recht sind. Aber das haben wir hier leider nicht; wir haben absolut nichts als Ihre Meldung, daß man Ihre Braut unter Vorspiegelung einer Tanzverpflichtung zu verschleppen versucht! Auch nur versucht, Monsieur – denn noch ist sie ja in Algier, irgendwo unter dieser Million Menschen, die hier lebt. Wir können nichts beweisen und nichts tun … Wir sind Träger einer Uniform, die mehr der Schönheit und der Staffage dient als dem Schutz der Bürger von Algier!«
Dr. Handrick setzte sich schwer auf den Stuhl. Er machte den Eindruck eines Mannes, in dem etwas zerbrochen ist. »Sie geben damit dreizehn Mädchen auf, Kommissar!« stöhnte er.
»Sie waren schon aufgegeben, als sie in Algier landeten.« Die Stimme des Beamten war ein wenig zerfahren, er sah selbst seine Machtlosigkeit. »Sie hätten Ihre Braut gleich am Hafen mitnehmen sollen.« Er hob die Hand und winkte ab. »Ja, ich weiß. Dieser Omar drohte Ihnen. Das ist das andere Afrika, Monsieur. Und es gibt noch ein drittes Afrika: das vollkommen erbarmungslose. Was die Touristen sehen, ist immer nur das eine, das erste Afrika, das Afrika der Romane und des Films, das Land der Palmen, schönen Frauen und feurigen Wüstensöhne. Das Land der träumenden Oasen!« Er lachte hart.
Eine Polizeipatrouille kam zurück und legte die Rapporte auf den Tisch.
Der Kommissar warf einen Blick darauf und schob sie Dr. Handrick zu. »Bitte, lesen Sie die Meldungen meiner tapferen Truppe«, sagte er mit einer Bitterkeit, die Handrick aufhorchen ließ. »In der Kasbah nichts Neues! Im Bezirk IV nichts Neues. Bezirk IV ist das Viertel der Dirnen – da passiert immer etwas! Aber alles ist nicht so wichtig, es ist einfach nichts Neues. Interessant wird es erst, wenn das Blut sichtbar über die Straße fließt! Aber das kommt selten vor, denn der Araber vermeidet es, Spuren zu hinterlassen.«
In einem Nebenzimmer tickte ein Fernschreiber.
Weitere Kostenlose Bücher