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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bloß die Ruhe? – suchte ich mir das beste Kamel aus, ein hochbeiniges weißes Kamel mit einem dicken Höcker, gut genährt, voll Wasser. Mit ihm ritt ich aus dem Lager, eingehüllt in eine Djellabah, und keiner erkannte mich, auch nicht der Hirte der Schafherde, dem ich begegnete und der mich ungehindert vorbeireiten ließ. Wer dachte denn daran, daß der Weiße entfliehen könnte?
    Es war eine günstige Nacht. Amar Ben Belkacem war aus dem Lager fortgeritten, um Leutnant Grandtours zu töten. Er sagte es, bevor er mich verließ. Siegessicher stand er in meinem Zelt, groß, hager, mit flammenden Augen, ein herrlicher Sohn der Wüste. »Allah hat das Leben gerecht eingerichtet«, sagte er stolz. »Alle Rechnungen werden im Leben beglichen.«
    »Sie werden den Leutnant also töten?« fragte ich leise.
    »Ich werde ihn so behandeln, wie er mich behandelt hat. Stammt der Spruch nicht aus Ihrer Bibel? Auge um Auge, Zahn um Zahn? Ich bin der Zahn, der ihn zerbeißen wird.«
    »Sie haben eine teuflische Art, Amar, alles, was uns angeht, in Ihre Mentalität umzubiegen«, sagte ich.
    Er schwieg darauf und sah mich lange an. Ich glaube, er überlegte, ob er mich mitnehmen sollte zu dem Treffen. Ich hielt den Atem an. Wenn Leutnant Grandtours schneller als Amar Ben Belkacem war, bedeutete das meine Freiheit. Aber dann wandte er sich ab und verließ das Zelt.
    Ich folgte ihm und sah, daß eines seiner Reitkamele gesattelt vor dem Eingang kniete. »Grüßen Sie mir Leutnant Grandtours«, sagte ich. »Ich warte darauf, daß er mich hier wegholt.«
    Amar Ben Belkacem nickte. Sein hageres Gesicht mit den etwas schräg gestellten Augen wurde von einem Lächeln überflogen. »Ich werde es ihm sagen. Alles, Doktor. Ich kann es ihm sagen, weil Sie mir sicher sind.«
    Ja, das sagte er: »Weil Sie mir sicher sind.« Und drei Stunden später flüchtete ich in die Sahara.
    Manchmal, auf der vier Tage langen Flucht, habe ich mir gedacht, ob es nicht besser sei, einfach liegen zu bleiben und das Ende abzuwarten. Wohin sollte ich mich denn wenden? Überall streiften die Freunde Amar Ben Belkacems durch die Wüste, und ich hatte keine Gnade zu erwarten, wenn ich wieder in die Hände der fanatischen Nationalisten fiel. Ich weiß, daß jetzt in El Hamel Dr. Ahmed Djaballah sämtliche Nomaden der Wüste aufgerufen hat, mich zu suchen, ich weiß, daß Babaâdour Mohammed Ben Ramdan wieder für meinen sofortigen Tod eingetreten ist, um die Pläne, die in meinem Kopf liegen, für immer zu vernichten. Ich weiß auch, daß irgendwo in den Bergen des Hoggars der geheimnisvolle Führer dieser ganzen großen Bewegung Nordafrikas sich verborgen hält, der sagenhafte Sidi Mohammed Ben Scheik el Mokhtar, der Mann mit dem kurzen, schwarzen Bart und den blauen Augen, den einzigen blauen Augen im Riesenraum der Sahara. Der Mann, den keiner kennt, nicht einmal Amar Ben Belkacem.
    Was ist da ein kleiner, schwacher Mensch allein im gelben Sand der Sahara? Ein gejagter Mensch ohne Essen und Wasser, mit einem Kamel, das seit zwei Tagen lahmt und schreiend seinen Weg geht, weil die dicke Peitsche es unerbittlich antreibt!
    Mein Gott, wenn es einmal regnen würde! Einmal nur, nur eine Viertelstunde, zwei Minuten nur – ich bin ja so bescheiden geworden – nur kurz, ganz kurz möchte ich einige Tropfen Nässe auf meinem Körper spüren, auf den Lippen, auf der Stirn, auf der Brust. Ich würde jauchzen und im Regen herumtanzen wie ein Irrer, ich würde den Mund weit aufreißen und jeden Tropfen fangen, als sei ich ein Jongleur, der winzige Bälle nicht verfehlen darf.
    Aber Gott läßt nicht regnen, er schickt nur die Sonne, die ich so hassen lernte, eine Sonne, die Glut auf die Erde schleudert, bis sie aufreißt und mit quellenden Wunden zum blaßblauen Himmel schreit. Die Steine werden bleich, der Sand glüht, die wenigen Gräser sind braun, versengt. Vereinzelt stehen die Tamarisken in den Senken, wo im Winter ein kleiner Bach fließt. In den Wadis, wo ein wenig Feuchtigkeit im Grund liegt, weil das Oberflächenwasser über einer Tonschicht stehen bleibt, wachsen Kräuter, Gräser und ginsterartige Büsche.
    Man kommt auf wahnsinnige Gedanken, wenn man allein in der Wüste ist. Gestern bin ich abgestiegen und habe die Gräser durch meine Hände gleiten lassen. Namen fielen mir ein, unwichtige Namen, die niemand kennt und niemand wissen will. Dieses Gras hier ist eine Aristida pungens, dachte ich. Und dort, der Busch, er heißt Retama raetam. Dumm, nicht wahr?

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