Die Strasse ohne Ende
geht es mir voraus, den Berg hinunter, es tappt mit seinem zerschundenen Fuß über die Steinsteppe – jetzt rennt es, den Kopf weit vorgestreckt, es rennt schreiend auf den Brunnen zu.
Wasser! Wasser!
Mein Gott, du lebst. Du lebst wirklich. Ich habe daran gezweifelt, gestern, in der Nacht. Ich habe dich geleugnet, ich habe dich gelästert, dich und deinen Namen verdammt. Ich habe nicht mehr an dich geglaubt, ich war am Ende, völlig.
Aber du lebst, jetzt sehe ich es. Du bist der lebendige Gott. Herr, erhöre mein Gebet!
Ich weine. Weinend werde ich an den Brunnen gehen und trinken.
Trinken. Kann ich denn noch trinken? Was ist das, trinken?
Jetzt, jetzt werde ich rennen. Nie war das Grün der Palmen so schön.
Oued el Ham ist ein kleines Nest am Rande des Sahara-Atlas. Ein Wadi schenkt dem Ort das Leben, ein kleiner Fluß, der selbst im Hochsommer noch ein wenig Wasser führt und ein üppiges Blühen von Malven, Eukalyptus, Ölbäumen, Dattelpalmen, Bambus, Wacholder, Oliven und Mastix ermöglicht. Die weißen Stein- und Lehmhäuser ducken sich hinter hohen Mauern, die das Flußbett einrahmen. In den weiten Gärten sprießen Melonen und hängen Obstbäume schwer zur Erde.
Oued el Ham ist ein kleiner, glücklicher Ort. Hier leben über zweitausend Araber und Berber, Ouled Nails und nomadisierende Stämme. In den zwei Hotels sitzen am Abend die gutverdienenden Händler und schauen im großen Raum den Darbietungen der Tanzmädchen zu, die etwas außerhalb der Häuser in einem großen, weiträumigen Bau wohnen wie in einer Kaserne.
Ein großer, schlanker Araber mit dem klingenden Namen Fuad el Mongalla ibn Hadscheh leitet die ›Stätte des Glücks‹, wie sie in der blumigen Sprache der Wüste heißt. Hier leben siebzehn Mädchen aller Rassen, willenlos, geknechtet, verkauft und verloren.
Es war eine lange Fahrt, und meistens nur des Nachts, bis Hilde Sievert nach Oued el Ham kam, in Fuads Haus. Omar Ben Slimane brachte sie selbst in die Oase; am Tag, während der Hinreise, verbarg er sie in den Atlasdörfern in schmutzigen, heißen Häusern oder sperrte sie in feuchte Keller, wo die Luft gesättigt war von faulender Hitze. Oft hörte Hilde in diesen Nächten und Tagen, wie vor dem Haus die Lastwagen der französischen Truppen vorbeifuhren, wie Omnibusse mit Reisenden hielten und an der Tankstelle gegenüber dem Haus, in dessen Keller sie saß, neues Benzin tankten. Dann standen die Touristen mit Fotoapparaten vor den Häusern und knipsten die Kamele, die fensterlosen Hauswände und die Araber, um die Bilder später in ihr Album zu kleben und zu zeigen: »Das war Sidi Aissa, das Bouira, und das hier Ain Oussera. Hier haben wir gerastet, hier gab es eine eiskalte Coca-Cola, und dort, meine liebe Frieda, dort haben wir sogar eine Flasche Bier bekommen, ein bißchen sauer und herb, aber es war Bier! Hat das gezischt! Wie Wasser auf einer glühenden Eisenplatte! Und in Palestro, meine liebe Elfriede, du glaubst es nicht, da war ein Araber, der konnte mit den Ohren wackeln wie ein Esel. Wir haben gebrüllt vor Lachen.«
Einmal hatte Hilde mit den Fäusten an die dicke Mauer des Kellers getrommelt und laut geschrien: »Hilfe! Hilfe! Rettet mich!«
Und dann war Omar Ben Slimane gekommen, hatte sie zurückgerissen und ins Gesicht geschlagen.
Das war das Schrecklichste – der Araber schlug sie! Seine dicke, ewig schwitzende Hand klatschte ihr ins Gesicht, daß sie zurückfiel und sich den Kopf an einem Mauervorsprung aufschlug. Sie spürte den Schmerz nicht, die Schande übermannte sie.
Dann war sie eines Nachts in Oued el Ham. Fuad el Mongalla ibn Hadscheh sah sie lange an, während sie vor ihm stand und die Musterung mit der stummen Abwehr abgründigen Hasses ertrug.
Hier, in der kleinen, fruchtbaren Oase, spielte Omar Ben Slimane zum Abschied seinen großen Trumpf aus. Er saß auf einem der runden, ledernen, reich verzierten Sitzwürfel und rauchte eine starke türkische Zigarette. Seinen roten Fez hatte er etwas in den Nacken geschoben. »Du bleibst jetzt hier«, sagte er zu Hilde und wies auf Fuad. »Das ist ab heute dein Herr. Er hat dich gekauft! Er kann mit dir tun, was er will. Und er wird dich töten, wenn du ungehorsam bist.«
»Das wäre die schnellste und beste Lösung.«
»Wie man es nimmt. Oder hoffst du noch immer auf deinen Freund? Heißt er nicht Dr. Paul Handrick?«
Aus Hildes Gesicht wich alle Farbe. »Woher wissen Sie das?« stammelte sie.
»Von meinen Agenten. Dr. Handrick aus Hamburg.
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