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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geisterten durch die Nacht.
    »Sie kommen«, stammelte Hilde. »Retten Sie sich! So laufen Sie doch!«
    Dr. Sievert trat zu ihr und sah sie groß an. »Ich danke Ihnen«, sagte er leise. »Sie haben mir das Leben gerettet. Sie haben mir Kraft gegeben. Ich werde das nie vergessen.« Er griff nach ihrer Schulter, zog die Zitternde an sich und küßte sie auf die trockenen Lippen. Dann hetzte er durch den Garten davon, seine zerfetzte Djellabah wehte ihm nach. Er erreichte die Mauer und schwang sich darüber, ehe die ersten Wächter die Ruine erreicht hatten. Seine Schritte verloren sich im Wadi.
    Brüllend standen die Araber um die gekrümmte Leiche des Wächters. Sie drohten mit den Fäusten, fluchten und leuchteten mit Fackeln und Laternen den Garten ab.
    Groß und schlank, in seinem seidenen Haikh, stand Fuad vor Hilde. Er blickte auf den Toten und dann auf sie. In seinen Augen stand eine stumme Frage.
    »Ich habe es getan«, sagte Hilde leise und wies auf sich. »Ich!« Aber während sie es sagte, fühlte sie, wie ihr Körper alle Kraft verlor und die Erde näher kam. Ohnmächtig sank sie in die Arme Fuads, der sie stumm aus dem Garten in ihr Zimmer trug und auf den Diwan bettete, wo Bobo weinend hockte und seiner Herrin das Gesicht streichelte.
    Mit einem Tritt verscheuchte Fuad den Affen und saß dann neben Hilde auf einem ledernen Hocker, bis sie erwachte.
    Im Garten suchten die Wächter jeden Busch, jede Mauer ab. Auch in den Keller krochen sie, aber sie fanden nur Würmer und Nattern, nicht einmal einen Kern der verzehrten Früchte.
    Sie hat es getan, dachte Fuad, während er neben ihr hockte und ihr blasses, unglückliches Gesicht betrachtete. Hat sie es wirklich getan? Woher hatte sie den Dolch? Warum tat sie es?
    Er dachte an die Worte Omar Ben Slimanes: »Töte sie, ehe es zu spät ist! Töte sie!« Er schloß die Augen und verkrampfte die Finger ineinander.
    Dr. Sievert war nicht weit geflüchtet.
    Durch einen schmalen Eingang rannte er in das Innere einer Moschee. Er schlich durch die Gänge, vorbei an dem großen Betraum mit den Strohmatten und der Nische, die nach Mekka zeigt, den mit Glasperlen verzierten Lampen und dicken Säulen, die die gewölbte Lehmkuppel tragen, vorbei an dem Baderaum, wo die Gläubigen sich die Füße waschen, ehe sie mit bloßen Füßen vor Allah treten und die Strohmatten mit der Stirn berühren. Es war still in der Moschee. Die Priester und Wächter schliefen. Er rannte weiter die verzweigten, tunnelähnlichen Gänge entlang, hetzte in Sprüngen an den Holztüren der in der Moschee wohnenden Priester vorbei, durchquerte den heiligen Bestattungsraum mit dem tragbaren Holzsarg und dem Klappdeckel, in dem die Toten auf den Friedhof getragen werden, wo man sie, in die Djellabah gehüllt, von dem Tragsarg in die Grube kippt.
    Aufatmend erreichte er eine steile Treppe, an deren Ende er ein Stück sternenbesäten Himmels sah. Er jagte sie hinauf, warf sich auf dem Dach der Moschee neben der kleinen Kuppel mit dem eisernen Knopf auf die Lehmdecke und schloß die Augen. Sein Atem flog. Ein Zittern durchrann seinen Körper. Kriechend schleppte er sich zur Mauer, die von einer hohen Palme überragt wurde, und wickelte sich hier in seine Djellabah. So lag er über eine Stunde und lauschte.
    Unter ihm, auf den Straßen, war es still. Nur einzelne Schakale heulten in der Ferne, ein Hund schlug an, eine Katze schrie brünstig in langgezogenen Tönen.
    Stille.
    Die Palme rauschte leise auf. Dann wieder Stille.
    Vom Dach der Moschee ging der Blick weit über die flachen Dächer der miteinander verbundenen Häuser. Nur ab und zu öffnete sich ein Einstieg in die Tunnelstraßen. In den kleinen Innenhöfen, zu denen die Fenster hinausgingen, lagen die Leitern, über die am Tag die Frauen über die Dächer hinweg ihr Leben führten. Denn das Dach ist der einzige Ort, wo ihr Schleier fallen darf. Das Dach, der intimste Ort der arabischen Familie.
    Dr. Sievert erholte sich nur langsam. Schwer atmend lag er an der Dachmauer und sah über die Dächer hin. Es war der einzige Weg, der ihm in die Freiheit blieb. Wenn der Morgen dämmerte, würde der Muezzin auf dem kleinen Minarett erscheinen und die Gläubigen zum ersten Gebet rufen. Und er mußte ihn sehen, den weißen Mann auf dem Dach des Hauses Allahs. Das aber war der Tod, ein Tod, vor dem ihn niemand retten konnte.
    Nach drei Stunden schlich Dr. Sievert weiter. Er kletterte vom Dach der Moschee hinab auf das nächste Hausdach, ging auf

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