Die Strasse ohne Ende
sich vor den Liegenden und betastete vorsichtig seinen Körper. Plötzlich lief auch ein Zittern durch den Körper des Arztes.
Erstaunt trat der Polizist näher. »Ist was?« fragte er. »Kann ich Monsieur helfen?«
Handrick sprang auf; sein Gesicht war gerötet, der Schweiß lief ihm über die Augen. »Holen Sie sofort einen Wagen«, rief er. »Der Mann muß sofort ins Militärhospital!«
»Ein dreckiger Bettler?« fragte der Polizist erstaunt und rührte sich nicht.
»Fragen Sie nicht – rennen Sie! Es ist etwas ganz Wichtiges! Sie bekommen einen Orden, wenn Sie schnell einen Wagen holen. Schnell, schnell!« Dr. Handrick beugte sich wieder über den Ohnmächtigen und drückte seinen Leib ein. Er nickte dabei und prüfte den Stand der Augäpfel, indem er die Lider hochzog. »Gott sei Dank«, sagte er dabei leise. »Vielleicht bekomme ich ihn durch.«
Der Polizist, überzeugt, daß die Weißen keine normalen Menschen seien, gab sich keine große Mühe, einen Wagen zu finden. Mit orientalischer Gelassenheit stellte er sich auf die Straße und hielt den ersten Wagen an, der über den Markt fuhr. Er riß die Tür auf, zerrte den schreienden und um sich schlagenden Fahrer vom Sitz, gab ihm eine kräftige Ohrfeige und setzte sich dann selbst hinter den Volant, steuerte den Wagen zu Dr. Handrick und meldete lachend: »Ein Wagen, Monsieur.«
Der Fahrer stand auf der Straße und brüllte. Er hob die Faust, alle Flüche der Wüste donnerten über den Polizisten. Aber niemand kümmerte sich darum, niemand blieb stehen oder sah der Szene zu. Bei Allah, ein Polizist nimmt einem das Auto weg! Allah wird den Hundesohn strafen. Allah ist groß!
Dr. Handrick faßte den Bettler vorsichtig an den Schultern und hob ihn auf. Er schleifte den leichten, fast verhungerten, nur aus Haut, Knochen und Sehnen bestehenden Mann in das Auto, legte ihn auf die Hinterbank und stieg dann zu dem Polizisten ein. »Fahren Sie, so schnell Sie können«, rief er.
Noch als sie um die Ecke des Marktes bogen, hörten sie das Geschrei des Fahrers.
Im Militärhospital von Biskra, einem weißen Riesenbau mit offenen Terrassen und großen Glaszimmern, summenden Ventilatoren und vor Sauberkeit blitzenden Gängen, staunte man nicht schlecht, als das klapprige Auto mit dem ohnmächtigen, schmutzigen Bettler zur Aufnahme rollte.
Chefarzt Dr. Veuille, im Rang eines Majors, stand zufällig bei den Sanitätern des Aufnahmeraumes und sah die Liste der Neueingänge durch, als Dr. Handrick und der Polizist den Bettler hereintrugen.
»Mein Gott«, lachte Dr. Veuille, »jetzt sammelt er schon die Wanzen von der Straße! Bester Dr. Handrick, wo haben Sie denn den her?«
»Vom Markt«, sagte der Polizist beleidigt, denn er hielt es für unter seiner Würde, einen Bettler zu tragen. »Er lag da, und ich wollte ihn gerade wegtreten, diese Mißgeburt, als Monsieur kam. Was sollte ich tun?«
»Schon gut.« Dr. Veuille trat an den Bettler heran, den Handrick auf eine der herumstehenden Tragbahren gelegt hatte. »Diagnose?« fragte er.
Dr. Handrick wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken ab. Er gab dem Polizisten einen Fünfhundert-Francs-Schein. Entgeistert betrachtete dieser das kleine Vermögen, dann grüßte er stramm und rannte aus dem Hospital. Vielleicht überlegt sich der Weiße noch, was er mir gegeben hat, dachte er. Dann will er den Schein wiederhaben.
Dr. Veuille sah Dr. Handrick an. »Verhungert, Herr Kollege?«
»Nein! Ein ungeheurer Glücksfall. Es ist unsere Virus-Ruhr. Endlich habe ich einen Fall, der mir nicht davonlaufen kann.«
Dr. Veuille starrte den Bettler entgeistert an. Dann zeigte sich in ihm der Militärarzt. Er schrie durch die Gänge. Sanitäter kamen gerannt. »Fertigmachen!« brüllte Dr. Veuille. »Verbandsraum III vorbereiten! In zehn Minuten beginnen wir.«
Dr. Handrick und Chefarzt Veuille wuschen sich in Desinfektionslösungen die Hände und ließen sich die dünnen, engen Gummihandschuhe von zwei Schwestern überziehen. Im Verbandsraum III lag auf dem Tisch der Bettler – man hatte ihn ausgezogen und gewaschen, sein ausgemergelter Körper glänzte fahl unter den großen Lampen, die man trotz der Helligkeit des Tages eingeschaltet hatte. Die Flügelventilatoren surrten. Es roch nach Karbol und Schweiß. Neben dem Tisch lagen in einem weißemaillierten Kübel die Kleider des Bettlers.
Dr. Handrick und Dr. Veuille beugten sich über die staubigen Gewänder und zogen sie mit Zangen auseinander.
Dr. Handrick beugte sich
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