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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zimmer, in dem er wohnen sollte, einen großen, sonnendurchfluteten Raum mit Blendläden, um die Mittagshitze abzuhalten, einer Brauseanlage neben dem Bett in einer Nische, einem Balkon zum Garten der Klinik und einem breiten, fast französischen Bett. Das Mauerwerk der Balkontür war im orientalischen Baustil durchbrochen und reichlich verziert.
    »Gegessen wird mit den anderen Ärzten im Kasino«, sagte Jacqueline und setzte sich auf die Bettkante. »Im übrigen ist Biskra ein Drecknest! Ich kann nicht verstehen, daß man aus Europa für einige tausend Mark herüberkommt, um diese Lehmhütten und Moscheen zu bewundern. Zauber der Wüste – in den ersten drei Tagen, nachher hängt es einem zum Hals heraus.« Sie strich die Haare aus der Stirn und lächelte. »Verzeihen Sie, Chef, daß ich so ausfällig rede. Aber manchmal kommt es über mich, und ich muß schimpfen wie eine Marktfrau auf dem Pariser Fischmarkt.« Sie erhob sich und war wieder ganz die charmante Dame. »Darf ich Ihnen helfen, sich einzurichten?« fragte sie. Als sie lachte, leuchteten ihre Zähne. »Ich habe noch nie Männersachen eingeräumt.«
    Dr. Handrick stieß die Blendläden des Balkons auf. Die Sonne flutete heiß ins Zimmer. Dann trat er hinaus und blickte über den Garten mit den schönen Palmen und Malvenbüschen, den Oliven und Mimosen. Gegenüber diesem Wohnflügel lag die Station der Poliklinik. Durch die großen Fenstertüren, die aufgeklappt waren, sah man die langen Schlangen der verletzten Araber und Berber und einige junge farbige Ärzte, die mit bloßem Oberkörper an den Verbandstischen standen und die in Gruppen Eintretenden untersuchten. Mütter mit Kindern, verschleiert und sehr scheu, hockten an den Wänden auf den Holzbänken und warteten darauf, daß der ältere arabische Arzt sie einzeln in ein geschlossenes Zimmer mit verhängten Fenstern rief, denn er war der einzige, der eine Moslemfrau unverschleiert sehen durfte.
    Der Hakim.
    Dr. Handrick wandte sich ab. Jetzt erst schien er richtig zu merken, daß Jacqueline an seiner Seite stand. Er blickte in die dunklen Augen. »Es ist schön, daß Sie bei mir sind, Jacqueline. Sie werden mir mehr abnehmen, als Sie denken – nicht im Labor, privat! Wir wollen Freunde sein, ja?« Ein Zittern durchlief sie; sie nickte leicht. »Wenn ich Kummer habe – ich darf ihn bei Ihnen abladen! Sie sollen eine Art Beichtvater sein!«
    »Ja, Doktor.« Es würgte in ihrem Hals, als sie dieses Ja sagte. Freunde, dachte sie. Beichtvater. Und ich liebe ihn – jetzt erst weiß ich richtig, daß ich ihn liebe! Ich muß ihn immer ansehen, dieses schmale, schöne Gesicht. Ich habe Sehnsucht nach seinen Händen und nach dem Druck seiner Lippen. So weit ist es schon, daß ich von ihm träume. So ganz hat er Besitz von mir ergriffen. Er sieht in mir nur den Kameraden, aber ich werde glücklich sein, überhaupt in seiner Nähe zu sein und ihn immer zu sehen.
    Von der Moschee begann der Muezzin zu rufen. Aus den Türen der Poliklinik liefen die Araber und verbeugten sich gen Osten, wo Mekka lag. Die Stimme des Allahrufers schallte weit über die Oase.
    Dr. Handrick beobachtete ihn, wie er auf der Galerie des Minaretts stand und mit an den Mund gelegten Händen schrill über die Dächer hinweg sang. Dabei pendelte sein Oberkörper im Rhythmus hin und her.
    »Es ist Zeit zum Essen«, sagte Jacqueline hinter ihm. »Sie werden jetzt die Ärzte kennenlernen.«
    Der erste Tag in Biskra, dem Ausfalltor in die Sahara, dem Tor zur glühenden Hölle.
    Dr. Handrick wandte sich ab und ging Jacqueline nach.
    Das war der erste Tag. Nun lag der Bettler im Hospital und dämmerte vor sich hin, das Blut eines Belgiers in sich, nutzloses Blut; das wußte Dr. Handrick im voraus, denn die Viren würden es verseuchen, schneller, als es sich im Körper regenerierte.
    Jacqueline saß jetzt im Zimmer bei dem Bettler und bewachte ihn. Sie las dabei eine Zeitung aus Paris, die mit einem Lebensmitteltransport aus Algier nach Biskra gekommen war. Sie war zwei Tage alt und wurde von Marseille mit einer Maschine der Air France über das Mittelmeer geflogen, zusammen mit der täglichen Post und den Frachtgütern. Was sie las, kam ihr alles so nichtig und unwichtig vor. Die Wüste macht weitherzig, dachte sie. Die Größe des Landes zeigt uns klar, wie klein wir in Wahrheit sind. Das habe ich schon gespürt, als ich mit dem Wüstenbus nach Biskra fuhr, durch den Atlas und die Kabylei, durch die Kiessteppe, die Salzwüste der Schotts,

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