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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Leben zu verlieren, der wird nach der Genesung sich hundertmal waschen und Allah um Verzeihung bitten und um seiner Seligkeit willen seine Retter verfluchen.« Dr. Veuille hob beide Arme. »Tun Sie in Gottes Namen, was Sie müssen, Herr Kollege. Ich sperre die Isolierstation, ich lasse von der Garnison eine Wache abkommandieren – mehr kann ich nicht für Sie tun. Ich werde auch kaum in der Lage sein, Ihnen tatkräftig bei den Versuchsreihen zu helfen. Ich bin wirklich überarbeitet.«
    Dr. Handrick lächelte und nickte. »Selbstverständlich, Herr Kollege. Außerdem haben Sie die Absicht, noch vierzig Jahre zu leben.«
    »Bestimmt.« Dr. Veuille gab Dr. Handrick die Hand. »Ich sehe, wir verstehen uns blendend. Sie sind ein fabelhafter Bursche, Handrick. Und viel, viel Glück.« Er wollte das Zimmer verlassen, aber an der Tür drehte er sich noch einmal um. »Was brauchen Sie alles?« fragte er.
    »Vierzig Affen, zehn Hunde und hundert Ratten.«
    »Kommen morgen. Sonst noch etwas?«
    »Nein. Es sei denn, Sie könnten mir ein besonders gutes Mikroskop besorgen.«
    »Ein deutsches Glas, was?«
    »Ja.«
    Dr. Veuille lachte. »Ihr seid schrecklich eingebildet, ihr Deutschen«, sagte er. Aber dann nickte er. »Will sehen, daß ich eins bekomme. Sie sind wirklich gut, die Dinger.«
    Zehn Minuten später saß Dr. Handrick am Bett des ohnmächtigen Bettlers. Die Station war sofort gesperrt worden. In einem großen Ofen wurden die Kleider des Bettlers verbrannt. Dr. Handrick fühlte den Puls des Mannes. Er war schwach, knapp. Das Herz flatterte, als er das Stethoskop aufsetzte und die Brust abtastete. Eine Lautverschiebung an der linken Lunge ließ ihn aufhorchen. Er klopfte die Brust und den Rücken ab und lokalisierte den Herd. Tbc! Eine durch Hunger und Unterernährung beschädigte Lunge. Wenn er mit der Ruhr durchkam, was nach menschlichem Ermessen nicht möglich war, würde er an der Schwindsucht sterben.
    Lange betrachtete Handrick den nackten Mann auf dem Gummibett. Der Körper war knochig und sehnig, fahlbraun und von einer ledernen Haut überzogen. Das Gesicht glich einem Totenschädel, hoch stachen die Jochbeine und die Kinnlade aus der Fläche hervor. Die Augen waren eingesunken. An den dünnen Beinen sah er einige große Narben, verheilte Furunkel.
    Wie alt mag er sein? dachte Dr. Handrick und stützte den Kopf in die Hände. Es ist nicht festzustellen – er sieht aus wie ein Greis, aber er kann jünger sein als ich. Wen kümmert es auch, wie alt er ist! Er sitzt tagaus, tagein an seiner Mauer auf dem Markt der Oase Biskra und hebt bettelnd seine hölzerne Schale jedem Vorübergehenden entgegen. Hat er Glück und weiße Touristen kommen nach Biskra, dann verdient er für eine Woche genug, denn der Weiße hat eine mitleidige Seele und weiß noch nicht, daß der Bettler nur einer der vielen Tausende ist, die überall in Afrika herumsitzen und ihre hölzerne Schale heben. Oft aber auch bekommt er nichts; dann wird er sich am Abend in eine Ecke zusammenrollen wie ein Hund und hungrig schlafen. Ein, zwei, drei Tage – vielleicht schenkt ihm ein Bauer eine Handvoll halbverfaulter Äpfel oder Oliven, die er dann hinunterschlingt und Allah für seine Güte lobt. Und so wird es weitergehen, jahrelang, ohne Hoffnung, daß er etwas anderes sein wird als ein getretener Bettler, ein Tier, das menschliche Züge hat und das Allah vergessen hat im Millionenheer der Armut.
    Jetzt wird er sterben – an der Ruhr, an Tbc, in Wahrheit aber an diesem Leben, an diesem Vegetieren im Staub des Marktes von Biskra. Als sich der Bettler leise stöhnend bewegte, beugte sich Handrick vor und machte ihm eine Injektion mit Clauden. Der Darm sonderte wieder Blut und Schleim ab. Der Arzt fing es auf und sammelte das Sekret in einer großen Glasschale.
    Er hatte in den Jahren seiner Tätigkeit verlernt, sich zu ekeln. Für ihn war es Wissenschaft, das Vordringen in unbekanntes Land gegen einen unbarmherzigen, tödlichen Feind. Er sah nur das Virus.
    Dr. Veuille trat ins Zimmer und sah Dr. Handrick über den Bettler gebeugt stehen. »Exitus?« fragte er leise.
    »Noch nicht. Aber es dauert nicht mehr lange. Der Körper hat keine Widerstandskraft mehr.« Dr. Handrick blickte kurz auf. »Was halten Sie von einer Transfusion?«
    »Wenig!« Dr. Veuille sah den Kollegen abweisend an. »Bei dem verseuchten Blut.«
    »Eben! Ich will sehen, ob es sich durch Frischblut regenerieren läßt.«
    Dr. Veuille sah Handrick mit großen Augen an. »Und wer soll

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