Die Strasse ohne Ende
Kamel. Sie schloß die Augen und wußte nicht, wie schnell sie einschlief und tief atmend auf der Erde lag, das Gesicht den Sternen zugewandt.
Das Kamel legte den Kopf auf die Vorderbeine und grunzte leise.
Die Nacht wurde kalt. Wie Silber, in sanften Wellen geschmiedet, lag die Wüste unter dem Mond. Sie war herrlich, von stiller, unangetasteter Majestät.
Bobo legte seinen Kopf auf Hildes Schulter und umarmte mit dem linken Arm ihren Hals …
Auf dem Operationstisch des Verbandsraums III lag der Bettler.
Er war vor vier Stunden gestorben, ohne die Besinnung wiedererlangt zu haben. Dr. Handrick und Dr. Veuille standen bei ihm und sahen in das starre, im Tod gelöste und fast zufriedene Gesicht.
»Tot wäre er nun«, sagte Dr. Veuille gemütlich und nestelte sich eine Zigarette aus der Tasche. Obgleich das Rauchen in den Verbandsräumen streng verboten war, zündete er sich eine an und gab Dr. Handrick das Päckchen.
Dieser lehnte ab und stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Tisches. Unter seinen Fingern spürte er kalt die verchromte Stange. »Er war nicht mehr zu retten«, sagte er langsam. »Ich habe an ihm die neuesten Mittel versucht und alles injiziert, was heute bei stärkster Ruhr angewandt wird. Aureomycin und Terramycin – sie haben versagt!«
»Dazu war es viel zu spät. In diesem Stadium, wie Sie den Kerl zu uns schleppten, hilft nur noch die Letzte Ölung.«
Dr. Handrick überhörte diesen sarkastischen Satz und schüttelte den Kopf. »Er starb nicht allein an der Ruhr. Trotz Kochsalzinfusionen und Clauden hörten die Darmblutungen nicht auf. Cardiazol und Kampfer erwiesen sich als nicht stark genug, die auftretenden Kreislaufstörungen zu beheben. Auch die Bluttransfusionen waren sinnlos.«
»Habe ich ja gleich gesagt.« Dr. Veuille nickte voll Triumph. »Lieber Kollege, das gibt in Algier einen Anpfiff. Wertvolles Legionärsblut umsonst in den Adern eines Bettlers. Wenn Sie beim Militär wären, könnten Sie sich jetzt schon einen passenden Zylinder aussuchen.«
»Die Transfusionen waren nicht sinnlos der Ruhr wegen, sondern wegen einer mir bis heute noch unbekannten völligen Strukturveränderung des Blutes. Wir stehen einer ausgesprochenen Poikilocythämie gegenüber, einer Gestaltsveränderung der Blutkörperchen, die – virenbedingt – zum Tod führt!« Dr. Handrick wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Fest steht vor allem, daß es sich bei dieser merkwürdigen Ruhr mit den rätselhaften Begleiterscheinungen um eine vollkommene Amöbenruhr handelt, der im Augenblick nur mit Bayer 205, dem Iatren, zu begegnen ist.«
Dr. Veuille sah Dr. Handrick fragend an. »Iatren ist bei uns in Afrika noch nicht angewandt worden. Wir haben uns auf die Antibiotika beschränkt, vor allem auf das Aureomycin. Ich gebe zu, die Ergebnisse sind mager. Wenn bei der Amöbenruhr der Sterblichkeitsindex bei achtundzwanzig Prozent liegt, so können wir bei der neuen Ruhr die Zahl ruhig auf neunzig Prozent hinaufschrauben! Aber wir wollen es gerne mit dem Bayerschen Iatren versuchen. Nur, was tun wir gegen die Poikilocythämie?«
»Nichts«, sagte Dr. Handrick ernst.
»Nichts?«
»Ja! Denn wir können nichts tun, weil wir nicht wissen, wie wir an das Virus herankommen. Durch das Mikroskop ist es nicht sichtbar. Im Elektronenmikroskop sehen wir sie als kugelige, quaderförmige oder stäbchenartige Gebilde. Das ist alles! Was wissen wir denn von den Viren? So gut wie nichts. Es sind Nukleoproteide. Ihre Vermehrung geschieht nur auf lebenden Zellen durch Anlagerung arteigener Stoffe aus den Stoffen des befallenen Organismus und einer dann folgenden Abstoßung eines neuen Tochtermoleküls. Und damit ist es aus! Wir können die Viruskrankheiten alle herzählen; aber an das Virus selbst kommen wir nicht heran. Was wir erreichten, sind nur Seren. Unsere innere Medizin hinkt noch etwas, Herr Kollege. Da haben es die Chirurgen leichter – was ihnen nicht paßt, das schneiden sie weg! Ihr Rüstzeug ist die Anatomie bis in den kleinsten Nerv – und Mut. Wir stehen vor dem geschlossenen Körper und seinen Rätseln des Organismus, der Hormone, der Drüsen und der Zellen!« Er sah Dr. Veuille groß an, in seinen Augen lag Entschlossenheit. »Aber wir beugen uns nicht – wir kämpfen.«
»Gegen einen unbekannten Gegner!«
»Ja. Jeder neue Gegner in der Medizin tarnt sich vorzüglich. Aber mit Ausnahme von ganz wenigen Fällen ist der Arzt noch immer Sieger geblieben.«
Dr. Veuille warf die Zigarette
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