Die Strasse ohne Ende
Ohren. Sie kroch an das Kamel heran, zerrte von einem Wasserbeutel den Stöpsel ab und ließ Wasser über ihre Bluse laufen. Dann riß sie sich diese vom Körper und drückte den nassen Stoff gegen ihr Gesicht. Die Bluse wirkte wie ein Filter, das Atmen wurde wieder leichter. Um sie war das Inferno des Schehelis. Als habe sich der Himmel geöffnet, als stürzten Sterne, zu Staub und Sand zermahlen, auf die aufbrechende Erde, als gäbe es keinen Himmel und keine Welten, kein Oben und Unten mehr, so umheulte der Wüstensturm die kleine Gruppe Menschen, die sich, an den Boden geschmiegt, nur notdürftig schützen konnte.
Innerhalb vier Minuten gab es kein Kamel, keinen Araber, keine Traglast mehr – ein Sandhaufen, der von Sekunde zu Sekunde wuchs, überdeckte Menschen und Tiere. Ein Hügel, um den der Sturm weitertobte, an dem vorbei riesige Massen feinen Sandes über die fast ebene Wüste rasten. Hunderttausende Zentner Sand wälzten sich im Strudel des Sturmes über das Land, alles vernichtend und begrabend, was sich ihnen in den Weg stellte.
Unter ihrer Zeltdecke, eng an den bebenden Leib des Kamels gedrückt, lag Hilde. Sie hielt die nasse Bluse vor das Gesicht, aber das Atmen wurde immer schwerer. Die Last des Sandes über ihr wurde immer unerträglicher. Verschüttet, dachte sie. Nie werde ich hier wieder herauskommen. Und noch immer tobt der Sturm, wirft neue Massen Sand über den kleinen Hügel, unter dem dieses armselige, zitternde, ängstliche Häufchen von Menschen und Tieren liegt.
Sie versuchte sich zu drehen. Es gelang ihr nicht, die Decke sank ein, ein Zentnergewicht drückte sie in den Boden. Da ergriff sie eine panische Angst, sie drehte sich wild in ihrer Decke und schrie, aber die Laute gingen im Sturm unter, erstickten im Sand. Das Kamel neben ihr zitterte, wie ein Krampf ging es durch seinen Körper. Hilde verließ die Vernunft, sie wollte aufspringen und laufen, einfach weglaufen, wohin, das war gleichgültig. Überall war ja Sand, war Sturm, war Grauen und Untergang. Nur laufen, laufen, aber nicht hier wehrlos herumliegen und ersticken. Sie wollte noch etwas sehen, wollte den Tod sehen, ehe sie niederfiel und von dem wirbelnden Sand begraben wurde.
In ihrer wahnsinnigen Angst stemmte sie sich gegen die Wolldecke, auf der der Sandberg lag. Sie keuchte und stöhnte, da bewegte sich etwas neben ihr. Ein kleiner Kopf tauchte auf, haarig, verschmutzt, die breite Unterlippe vorgeschoben, mit bleckenden Zähnen, eine harte, langfingerige Hand ergriff sie und suchte Schutz bei ihr. Ein kleiner, zitternder Körper kroch zu ihr heran und drückte sich fest an sie. Sie hörte ein leises Greinen, ein Jammern und Schmatzen. »Bobo«, sagte Hilde und drückte den Affen an sich. »Ich habe dich ganz vergessen! Wo kommst du denn her? Bist du aus der Sänfte gesprungen? Mein guter, kleiner Bobo.«
Der Affe leckte ihr über das Gesicht. Sie empfand keinen Ekel – es war Leben, atmendes Leben, das sie jetzt an sich drückte, und sie fühlte, wie der kleine Affenkörper ihr neuen Mut und klaren Verstand gab. Das Kamel lag ruhig – war es schon erstickt? Auch das unheimliche Brausen hatte sich verloren; nur der Sand rieselte noch wie ein Regen, der nach einer Welle von Blitz und Donner weiter niederfällt.
Fast eine Stunde lag Hilde neben dem Kamel unter der Decke. Dann kroch sie hervor, schob den Sand mit größter Mühe vor sich her, tauchte aus dem Berg von Staub und goldgelbem Pulver auf und sah sich allein in der Wüste stehen. Wo die anderen Kamele gelegen, die Araber Schutz gesucht hatten, war die Wüste hügelig geworden. Keine Sänfte, keine Lasten, kein Mensch mehr – nur die Wüste, nur Sandhaufen, schweigend, von der Sonne angeglüht. Da nahm sie Bobo an der Hand und begann ihr Kamel auszugraben. Es hatte seinen Kopf unter die Zeltdecke gesteckt und kniete, die schwere Sandlast über sich, geduldig und ergeben, bis Hilde seinen Kopf gefunden hatte. Mit den Händen grub sie das Kamel aus, während Bobo mit seinen Füßen und beweglichen Fingern den Sand zur Seite schleuderte. Dabei jauchzte er, schrie vor Freude, als das Kamel endlich den Kopf hob und ihn mit traurigen Augen anstarrte. Auch Hilde sank in die Knie und nahm den Kopf des Tieres in ihre Hände, streichelte die dicke, aufgeworfene Schnauze, unter der gelb und häßlich die krummen Zähne lagen. Dann zog sie unter der Decke den Wassersack hervor und schüttete dem Kamel einen Guß Wasser in die Nüstern und zwischen die Zähne. Gierig
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