Die Strasse ohne Ende
werde ich ihn zu einer Entscheidung treiben! Er liebt mich – ich fühle es doch! Er hat Angst um mich. Er sehnt sich nach meiner Nähe – aber er wehrt sich dagegen, weil er an die Deutsche glaubt, an dieses verdammte Mädchen aus Berlin. An diese verfluchte Deutsche.
Ein Anruf riß sie herum.
Auf dem Balkon seines Zimmers stand Dr. Handrick. »Jacqueline!« rief er. »Was machen Sie denn noch im Garten?«
»Ich hatte ein Rendezvous!« antwortete sie bissig. »Stört Sie das, Doktor?«
Die Tür am Balkon klappte zu. Keine Antwort. Jacqueline biß sich auf die Lippen. Das war eine Dummheit gewesen, durchfuhr es sie, eine riesengroße Dummheit.
Sie begann sich selbst zu hassen.
Vier Tage später stand Dr. Veuille am Bus und drückte Dr. Handrick die Hand. »Gehen Sie in Touggourt zu Dr. Bath«, sagte er. »Er ist der Kollege im Militärhospital. Er wird Ihnen weiterhelfen. Und schreiben Sie mir einmal aus der Wüste. Es gibt immer Karawanen oder Militärkolonnen, die Post mitnehmen. Vor allem, wenn Sie etwas Positives gefunden haben! Vielleicht können wir hier in Biskra die Versuche im großen unternehmen. Sie haben dann fertige Versuchsreihen, wenn Sie aus dem Süden zurückkommen.«
»Das wäre sehr schön, Veuille.« Dr. Handrick drückte dem rauhen Kollegen die Hand.
Dann fuhr der Bus langsam an und rollte über den Markt von Biskra. Blinde Musikanten, umlagert von Kindern und in Djellabahs gehüllten Männern, spielten ihre eintönigen Weisen. Einer von ihnen klopfte die Handtrommel, während der andere auf einer Geige mit zwei Saiten jammernde Melodien fiedelte. Ihre Schuhe hatten sie ausgezogen und vor sich hingestellt, um in ihnen den kärglichen Lohn zu sammeln, den man ihnen zuwarf.
Vorbei an den Grabmälern reicher Caids, deren weiße Kuppeln inmitten des ummauerten Grabmals weit ins Land leuchteten, vorbei an den Riesenpalmen in der Nähe der Brunnen, blühenden Hecken und fruchtbaren Gärten fuhr der Bus aus Biskra hinaus in die Steinsteppe, die unmerklich, fast gleitend, in die Sandwüste überging, in dieses riesige Bett eines prähistorischen Weltmeeres.
Wieder drang Staub durch die offenen Fenster in den Wagen und vermengte sich mit dem Schweiß, der über das Gesicht lief. Aber jetzt war es Dr. Handrick gewöhnt. Er wischte nicht mehr über die Augen und vermengte Schweiß und Sand zu einem zähen Brei. Er saß, etwas zurückgelehnt, in den harten Lederpolstern und studierte zum ungezählten Mal die ersten Versuche, die er mit dem Blut des Bettlers unternommen hatte.
Es war eine traurige, eine entmutigende Lektüre. Hinter jedem Abschnitt standen zwei Worte, die sich mahnend im Kopf Dr. Handricks festsetzten. Ohne Befund! Mißlungen.
Noch war der Tod stärker als er.
Die Sterne sind kalt in der Wüste.
Himmel, Wolken, Luft und Wind – alle sind kalt. Nur der Sand ist warm, aber nur ein wenig, denn die kleinen, abgeschliffenen Körner halten die Hitze nicht. Man kann sich in diese Wüste legen und sterben, und man merkt es nicht einmal. Man kann sich in die Falten der Sanddünen legen und die Augen schließen, man fühlt, wie der ausgedörrte Körper sich ausdehnt und sich nach Ruhe sehnt, nach großer, großer Ruhe. Man spürt es, wie die Kräfte in den Sand hineinrinnen und dort versickern, als seien sie ein paar Tropfen Wasser, die aus einer umgestürzten Flasche laufen. Der Himmel ist unendlich, der Horizont, der Sand und auch die Tiefe der Sahara – alles ist groß, weit und unfaßbar.
Das Kamel lag im Sand und rührte sich nicht. Es lag nicht auf den Beinen, sondern auf der Seite, lang hingestreckt, die dicke, wulstige Schnauze im Sand, die Augen geschlossen, zusammengekniffen. Wenn man es ansah, konnte man denken, es habe das Gesicht verkrümmt. Neben dem Kamel, Bobo in den Armen, lag Hilde auf dem Reitteppich. Sie hatte die Decke über sich gebreitet und die Hände gefaltet. Bobos Kopf lag an ihrem Hals. Er schmiegte sich eng an sie und sah sie mit großen, fragenden, traurigen Augen an.
Vier Tage, dachte Hilde und starrte zu den kalten Sternen hinauf, deren Pracht sie erschreckte. So nahe bin ich schon dem Himmel, daß die Sterne heller leuchten? Sie kommen mir entgegen – sie holen mich von dieser Erde ab … O diese kalte Nacht nach vier entsetzlichen, heißen Tagen! Vier Tage, und kein Wasser mehr, nur noch ein paar Datteln und vier Weizenfladen. Bobo schreit am Tag vor Hunger und Durst und schlägt wie wahnsinnig auf das trottende Kamel ein. Hat es sich verirrt? Wo
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