Die Strasse ohne Ende
Fürsten der Araber, die Türkenkriege, und weit, weit zurück die Herrschaft Roms, die Kaiser Caracalla und Diokletian. Hier wurden die Christen ebenso von Berberlöwen zerfleischt wie in Rom, Neapel und Syrakus. Er hatte den Bann der Jahrhunderte von sich abgeschüttelt und war hinuntergegangen in diese herrliche Stadt, in diesen weißen Halbmond auf rotem Grund, um – Ironie seines Schicksals nannte er es – drei Monate nichts zu sehen als moderne Laboratorien mit großen Glaswänden, die auf einen fast europäischen Garten mit Möbeln aus amerikanischem Schaumgummi hinausgingen. Das war seine erste Berührung mit Afrika, dem Land seiner Sehnsucht – sie hatte ihn gefährlich ernüchtert, so tiefgründig, daß ihm sogar heute noch die Erzählungen Dr. Veuilles über die Gefahren der Wüste nur ein Lächeln abnötigten. Er erinnerte sich, daß Afrika, wie er es kannte, seinen Erwartungen stets widersprochen hatte.
»Wann wollen Sie reisen?« unterbrach Dr. Veuille seine Gedanken.
Dr. Handrick schrak auf. »Wann ich fahre? Am liebsten morgen. Aber wir müssen noch die nötigen Iatren-Mengen abwarten. Vielleicht also in einer Woche. Ich fahre mit dem Bus bis Touggourt und ziehe von dort mit einer Karawane nach Ghardaia.«
»Reiten?«
»Ja.«
»Prost, Mahlzeit!« Dr. Veuille trank sein Glas leer. »Ein Holzsattel, sechzig Grad Hitze, kein Wasser, Sand, der durch jede Naht, jede Ritze dringt, ein störrisches Kamel, das ab und zu beißt – bester Kollege, nehmen Sie drei Pfund Vaseline für Ihren Hintern mit.«
In diesen Tagen der Vorbereitung des Rittes durch die Wüste hatte Dr. Handrick eine Auseinandersetzung mit Jacqueline. Sie war nicht heftig, denn sowohl Dr. Handrick wie Jacqueline bemühten sich, höflich zu sein, obwohl alles in ihnen nach einem Ausbruch drängte, der alles bisher Angestaute freimachen sollte.
Jacqueline hatte seit jenem Tag, an dem Dr. Handrick in Biskra eintraf und sie auf dem Balkon seines Zimmers bat, seine Kameradin zu sein, alles getan, um das Leben des Arztes so sorglos wie möglich zu gestalten. Trotz der vielen Arbeit in den heißen Labors, bei der der Schweiß in Strömen über den Körper rann und die Sehnsucht nach frischer Luft und Kühlung alle anderen Gedanken überdeckte, trotz aller Mühen im Hospital und der Nachtwachen an infizierten Tieren – vor allem Affen – schafften es der Wille und die stille Liebe Jacquelines, Dr. Handrick mit Kleinigkeiten unauffällig zu umwerben.
Einmal war es die Erfüllung eines flüchtig geäußerten Wunsches, ein Siphon mit Sodapatrone. Am Nachmittag später stand er auf seinem Tisch. Jacqueline hatte ihn besorgt – woher, das verriet sie nicht, aber sie war glücklich, als Dr. Handrick ihr zum Dank die Hand küßte. Ein anderes Mal war es die Herbeischaffung neuer Glaskolben, weil ein arabischer Gehilfe eine ganze Reihe durch eine ungeschickte Bewegung beim Säubern des Tisches zu Boden warf. Selbst eine kleine Kamelkarawane stellte Jacqueline zusammen, als Dr. Handrick drei Tage lang zwischen Biskra und Touggourt in der Wüste die Nomaden aufsuchte und sie auf Regierungsbefehl untersuchte. Sie lebte mit ihm Zelt an Zelt. Sie kochte in der Wüste auf einem Benzinkocher sein Essen – Hammelfleisch mit Oliven, Bohnen und Süßkartoffeln und Couscous mit Pfeffersoße. Sie zuckerte die großen Melonen und buk kleine Torten aus gehacktem Rindfleisch mit Eischeiben und Gelatine. Sie war immer um ihn, umsorgte ihn, war nie müde und immer dort, wo er sie gerade brauchte.
Sie wurde ihm unentbehrlich.
Jacqueline spürte es, und eine tiefe Freude glomm in ihr empor. Ihre ganze Liebe legte sie in ihre Handlungen, als sie sah, wie Dr. Handrick durch die Selbstverständlichkeit ihrer Gegenwart innerlich an sie gefesselt wurde, so daß er sie wie keinen anderen Menschen vermissen würde, wenn sie plötzlich ging.
Die Deutsche … Sie lächelte. Sie war weit weg, verschollen, untergegangen in Afrika, aufgesogen von dem unersättlichen Schwamm der Wüste. Sie kam nie wieder, war ein kurzer Silberstreifen am Lebenshimmel Dr. Handricks gewesen, der vorbeigezogen war und nie wieder leuchten würde. Wer wußte, wo diese kleine Tänzerin jetzt war? Wer konnte sie in diesem Land finden?
Wie hieß sie doch noch? Hilde Sievert … Wer ist Hilde Sievert? Nichts gegen Jacqueline Dumêle.
An dem Abend, an dem er in das Krankenhaus kam und sich zu ihr an den Korbtisch auf dem Balkon setzte, sich aus dem Siphon ein Glas Orangeade spritzte und
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