Die Strasse ohne Ende
führt es mich hin?
Um mich herum ist das ewige Schweigen.
Sie war in diesen Tagen ohne Unterbrechung geritten. Mit Schrecken erkannte sie, daß die Wüste nicht aufhörte, daß der Wasservorrat in den beiden Ziegenlederbeuteln nachließ und einmal der Tag kommen mußte, an dem sie verdurstend vom Kamel in den Sand stürzte. In den Nächten stellte sie sich in den kalten Wind, mit weit offenem Mund und bloßem Oberkörper, um die Kälte in sich aufzusaugen und damit den Durst zu bekämpfen. Aber wenn der Tag kam, die Sonne hinter dem Horizont emporrannte – es war wirklich ein Rennen ohne Dämmerung –, dann fiel die Hitze wieder über sie und trieb sie sechzehn Stunden vor sich her. Mit dicker Zunge und aufgesprungenen Lippen saß sie auf dem schwankenden Tier und stierte mit gläsernen Augen auf die Sandwellen, die unter ihr vorbeischaukelten.
Sie hatte viel Zeit, in diesen Stunden der Qual zu denken. Die Hoffnung, jemals wieder aus dieser Öde herauszukommen, war gering! Das wußte sie jetzt. Aber sie zögerte den Tod hinaus, sie kämpfte mit ihm, verbissen, mit dem Trotz, sich nicht wehrlos aufzugeben.
Am vierten Abend sank sie vom Kamel und rollte in den Sand. Sie wollte weinen – aber selbst Tränen hatte sie nicht mehr.
In dieser Nacht hatte sie dann alles geordnet. Sie hatte auf einen Zettel ihren Namen und ihre Adresse geschrieben, mit einer Dattel, die sie beleckte und mit deren klebrigem Saft sie auf das Papier schrieb. Dann hatte sie sich auf den Teppich gelegt, die Decke über sich gebreitet und gebetet, in dem Wissen, daß es die letzten Worte waren.
Als der Tag kam, lag sie noch immer neben dem Kamel, auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen. Die Sonne brannte – sie wehrte sich nicht mehr dagegen. Sie hatte keine Kraft mehr aufzustehen. Der Sand – er war glühend unter ihr, obgleich er nicht heißer war als der Sand um sie herum. Bobo jammerte leise. Sie drückte ihn an sich und streichelte ihn mit geschlossenen Augen. »Ruhig, mein Kleiner«, sagte sie leise. Das Sprechen fiel ihr schwer; wie glühendes Blei lag ihr die Zunge im Gaumen, füllte die Mundhöhle aus und hemmte das Sprechen. »Nur noch ein paar Stunden – dann ist alles vorbei.«
Gegen Mittag wurde das Kamel unruhig und starrte zu Hilde hin. Es räkelte sich und erhob sich dann. Groß, unwirklich, urweltlich stand es neben Hilde, den Kopf in einem Strahlenkranz der Sonne. Wie ein Symbol stand es in der einsamen, glühenden Wüste. Die Nüstern blähten sich, die häßlichen, gelben, langen Zähne leuchteten. So stand es fast eine Stunde, dann ging es langsam fort, ganz langsam, als erwarte es noch einen Zuruf, einen Befehl des kleinen Menschen, der dort im Sand lag und sterben wollte. Auf Rufweite blieb es noch einmal stehen und sah sich um, dann ging es weiter, schneller, immer schneller, kleine Staubwolken quollen unter seinen Hufen auf. Wie ein Punkt war es noch, ein dunkler Punkt im Gelb des Sandes, bis er unterging in der fernen Vermählung von Himmel und Wüste.
Um den zurückgebliebenen Menschen war das vollkommene Schweigen, so vollkommen, daß man es hörte und Hilde die Hände vor die Ohren preßte und schrie: »Aufhören! Aufhören!«
Ihre Stimme ging unter, als schreie sie gegen ein Tuch aus Samt. Am Nachmittag kam ein leichter Wind aus dem Süden, heiß und trocken. Er trieb den feinen Sand in langen Streifen vor sich her. Langsam bildete sich ein Hügel auf Hildes ausgestrecktem Körper. Sie verschwand unter der Decke aus rieselnden Körnern. Sie wehrte sich nicht dagegen – sie lag still und umarmte Bobo, der durstig über seine Schnauze leckte und nicht mehr schreien konnte. Nur ein Wimmern kam aus seinem Maul.
Als der Wind sich legte, war der Ruheplatz wieder glatt. Der Sand hatte die Zeugen der Rast verschluckt, den Sattel und die Ziegenbeutel mit den wenigen Tropfen Wasser, die Taschen und die Schlafdecke, das Zaumzeug und das andere Gepäck. Und dann kam wieder die Nacht, kalt und sternenklar.
Ein Schluchzen schüttelte Hildes Körper. Mit diesem Schluchzen schlief sie ein. Sie wußte, es war die letzte Nacht. Es würde keine zweite mehr geben.
Ergeben in das Schicksal, das sie erwartete, schlief sie ein. Sie sah nicht mehr, wie Lichter durch die Nacht zogen, nicht das Licht der Sterne, sondern Lichter in der Wüste, wie sie näherkamen, Gestalt wurden und emporwuchsen zu einer kleinen Karawane, die schweigend durch die Nacht trottete, voraus ein Kamel mit einer großen Fackel.
Verblüfft blieb
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