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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und –« Er stockte und dachte an Hilde. »Viel Glück, Herr Kollege«, sagte er schroff und verließ eilig den Raum.
    Der Araber sah ihm nach. In seinen Augen lag Mitleid. Er sah durch das Fenster, wie Dr. Handrick zu dem Hauptgebäude des Krankenhauses ging.
    Dann setzte er sich still und vorsichtig auf den Stuhl Dr. Handricks, zog das Mikroskop an sich und richtete den Spiegel gegen die Sonne. Hell erschien der Lichtkreis unter der Einbuchtung des Objektträgers. Das winzige Blutkörnchen war durchleuchtet. Langsam beugte sich der Araber über das Okular und stellte die Schärfe ein. Seine dunklen Finger lagen regungslos um das helle Messing des Apparates.
    Die Zeit verging, der Eimer füllte sich, der Brutschrank wurde leer – auf dem Papier der Versuchsreihen reihten sich die Nummern und die Ergebnisse der Untersuchungen.
    Und hinter jeder Nummer stand nüchtern, langweilig und knapp: o.B.!
    Als über die Straße der Ruf des Muezzin gellte, die Bogenlaternen aufflammten und das Krankenhaus wie ein riesiges, erleuchtetes Schiff auf dem Berg schwamm, saß der Araber noch immer am Tisch und drehte am Tubus des Mikroskopes. Er saß dort die ganze Nacht über. Er saß auch noch am Morgen.
    Als gegen acht Uhr Dr. Handrick im Labor erschien, beugte sich der Araber wieder über ein Gefäß mit Blutkuchen. Sein Gesicht war zerknittert.
    »Sie sind noch hier?« rief Dr. Handrick entgeistert. »Haben Sie die ganze Nacht durch – Herr Kollege, das war nicht abgemacht.« Er trat näher und sah mit Erstaunen die gefüllten Seiten des Protokollbuches.
    Der Araber lächelte schwach und legte eine kleine, mit Blut bestrichene Glasplatte auf den Tisch zurück. »Ich konnte nicht anders, Dr. Handrick. Es ließ mich nicht mehr los. Ich mußte weitermachen. Es ist mir wie ein Befehl Allahs!«
    »Und was haben Sie erreicht?«
    Der Araber sah zu Boden. Seine Augen waren geschlossen. »O.B.«, sagte er leise.
    »Ich dachte es mir.«
    »Ich glaube jetzt selbst nicht mehr an eine Lösung. Wir werden das Virus in die Krankheiten einstufen müssen, an denen die Medizin versagt! Multiple Sklerose, Krebs, Leukämie, wir stehen davor und sehen zu, wie die Kranken uns anflehen und qualvoll ihren Leiden erliegen. Unsere Wissenschaft wird nie ein Ende finden, weil die Natur immer neue Feinde in den menschlichen Körper wirft.«
    Dr. Handrick legte den Arm um die schmalen Schultern des Arztes. Es war eine rührende Geste des Verstehens und der Freundschaft, und der Moslem ließ es geschehen, daß ein Ungläubiger ihn umarmte. »Alle Forscher, ob groß oder klein, berühmt oder anonym, standen bei ihrer Arbeit an einer Grenze, hinter der sie kein Land mehr ahnten. Und dann war plötzlich doch eine Lücke da; sie schlüpften durch das trennende Dickicht und sahen sich in einer neuen, wunderbaren Welt! Sie haben ihre Nerven dabei gelassen, ihre Gesundheit, manchmal sogar ihr Leben. Aber darum geht es ja nicht. Wir müssen. Das ist das einzige Wort, das uns als Arzt zusteht! Wir müssen helfen!« Er sah den Araber an. »Haben Sie Angst vor der Zukunft, Herr Kollege?«
    »Nein, Dr. Handrick.«
    »Wollen Sie mir helfen?«
    »Wenn ich es darf?«
    »Warum fragen Sie? Nehmen Sie sich ein Mikroskop und setzen Sie sich neben mich.« Dr. Handrick schob sich einen Stuhl heran und hockte sich darauf, nahm das Kontrollbuch und las die nächtlichen Versuche durch. »Also bis Nummer dreihundertneun sind Sie gekommen? Sehr ordentlich! Beginnen Sie mit der Reihe vierhundert bis vierhundertfünfzig! Ich mache die Vierhundert voll!« Er ging zum Brutkasten und entnahm ihm zwei Flachschüsseln mit Viruskulturen. Er schob sie in einen Glaskasten, der an der Längsseite zwei mit Gummi abgedichtete Öffnungen hatte, durch die man die Arme stecken konnte. So arbeitete man mit den gefährlichen Viren, ohne selbst mit ihnen in Berührung zu kommen; die Hände waren frei beweglich, aber Glas und Gummistulpen an den Löchern schlossen das Innere hermetisch ab. Handrick streifte seine Gummihandschuhe über und steckte dann die Arme durch die Glaslöcher. Mit feinen Pinzetten löste er Stücke des blutgetränkten Nährbodens und übertrug sie auf die Objektträger der Mikroskope.
    Der junge arabische Arzt setzte sich still neben ihn.
    Was ist eine durchwachte Nacht!
    Der Tod von Tausenden lag in den Händen des deutschen Arztes. Gebannt schaute er auf die glitzernden Pinzetten und auf die schlanken Finger in den hellen Gummihandschuhen, die die kleinen Blutstücke lösten

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