Die Strasse ohne Ende
einem kleinen Plexiglaseimer, auf den rot leuchtend ein großer Totenkopf gemalt war, lag inmitten von zerbrochenen Objektträgern, Watte und Zellwolle der Abfall der negativ behandelten Blutkuchen.
Dr. Handrick wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und stützte den Kopf in die Hände.
Ein junger Arzt, braun, mit einem schmalen, asketischen Gesicht, der hinter ihm stand, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nicht mutlos werden«, sagte er in einem gutturalen Französisch. »Auch Oasen entstehen nicht in einem oder zwei Jahren.«
Dr. Handrick nickte. »Zwei Nächte und zwei Tage sitze ich jetzt hier«, meinte er schwach. »Und ich kann es nicht glauben, ich will es nicht einsehen: Das Iatren versagt!«
»Es ist ein Mittel gegen die Amöbenruhr. Hier haben wir Blutviren! Dagegen gibt es kein Mittel.«
»Das Iatren wird vom Blut einfach unwirksam gemacht! Begreifen Sie das, junger Kollege? Iatren, das Bayer 205, das bisher unfehlbare Mittel gegen Ruhr – es ist nicht anders als Wasser, wenn es mit dem verseuchten Blut in Berührung kommt! Das ist entsetzlich!«
»Sollte das nicht ein Weg sein, Dr. Handrick?«
»Ein Weg?« Handrick drehte sich erstaunt um und sah den jungen Araber groß an. »Wo wollen Sie einen Weg sehen, wenn alles verbaut ist?«
Der Araber stützte sich auf den Tisch und blickte über die vielen Präparate. Seine Augen waren etwas eingesunken, sein braunes, scharfes Gesicht lag im hellen Sonnenlicht und wirkte dadurch wie eine angestrahlte Bronzeplastik. »Wenn die Viren das Iatren ablehnen, dann müßte ein Stoff wirksam sein, der dem Iatren gegenüber polarisierend ist.«
»Das ist logisch.« Dr. Handrick nahm eines der Reagenzgläser aus dem Ständer und hielt es gegen das Licht. Die rote Flüssigkeit leuchtete hell. »Hier ist das Blut von Versuchspatient sieben.«
»Omar Rabahn, Berrian, Beruf Süßwarenbäcker«, sagte der junge Arzt.
»Ganz richtig. Eingeliefert vor sieben Tagen. Durch Iatrenbehandlung von der Amöbenruhr befreit, aber seit vier Tagen hoffnungslos durch Blutzersetzung. Versuch achtundvierzig mit Serum fünfzehn war o.B.! Serum fünfzehn ist aus dem Blut von Rekonvaleszenten gewonnen, von Patienten, die nach der Ruhr auch von der Zersetzung geheilt wurden. Denn das ist das Geheimnisvolle: Im Anfangsstadium der Zersetzung ist der Kranke durch Transfusionen bis zu drei Litern noch zu retten. Es handelt sich also nicht um ein Virus, das sich in den Organen festsetzt und bei der vierundzwanzigstündigen Bluterneuerung von der Zentrale aus vorgeht, sondern es schwimmt mit, es springt gewissermaßen von dem sterbenden Blutkörperchen zu dem neugebildeten über und infiziert so das neue Blut, immer weiter sich vermehrend, bis eines Tages alle Bluterneuerung schon im Anfangsstadium der Infusion von den Viren befallen wird und es gar kein frisches Blut mehr gibt. Die Folge: Tod!« Dr. Handrick gab dem arabischen Arzt das Reagenzglas und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Ventilatoren war es heiß und drückend in dem gläsernen Raum. Es war, als seien die Fenster ein Brennglas, das die Strahlen der Sonne auf die beiden Menschen konzentrierte. »Dieses Blut wurde mit dem Rekonvaleszentenserum behandelt, also mit geretteten Patienten. Der Erfolg – wie gesagt – o.B.«
»Sie haben das Virus nie gesehen?«
»Nein. Nur im Elektronenmikroskop wäre es möglich. Möglich, sage ich, denn es ist nicht sicher, wie groß die Viren sind. Es kann sein, daß sie uns völlig unsichtbar sind.« Dr. Handrick schob ein Reagenzglas resignierend in den Ständer zurück. »Wenn man bedenkt – ein Tod, den man nicht sehen kann! Ein winziges Lebewesen, das einen riesenhaften Menschen fällen kann wie einen morschen Baum! Es ist ein verdammtes Gefühl, das Gefühl der ärztlichen Unsicherheit.« Er erhob sich und knöpfte seinen weißen Mantel auf. »Schluß für heute. Ich kann nicht mehr. Ich muß an die Luft. Selbst wenn sie kocht, ist sie noch besser als diese süßliche Blutdumpfheit! Kommen Sie mit?«
Der Araber schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn Sie erlauben, Dr. Handrick, nehme ich Ihren Platz ein. Ich möchte dort weitermachen, wo Sie aufhörten. Vielleicht kann ich Ihnen damit helfen. Sie haben doch einen genauen Plan Ihrer Versuchsreihen.«
»Ja. Sie liegen dort, in dem Heft. Aber ich sage es Ihnen gleich: Es ist eine sinnlose Arbeit! Ich habe den Kampf innerlich aufgegeben; wenn ich weitermache, dann nur, um meine Berechtigung in Afrika nachzuweisen
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