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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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verschafft (es war jene, die zehn Jahre später, aber nicht durch die Operationen eines gewissen Levielle, umgefallen ist), und das wurde ihr möglich, weil einer der Direktoren mit der Familie Siebenschein befreundet war (der Direktor Altschul, dem Levielle am übelsten von allen mitgespielt hat; seine Frau, eine Gute, Dicke, Blonde, verkehrte, ebenso wie Frau Irma Siebenschein, übrigens in dem gleichen Café, in welches viel später Kajetan von S. den Sektionsrat Geyrenhoff ein oder das andere mal verschleppte, um dort gewisse wohlbeleibte Ehepaare in zensurbedürftiger Weise zu besingen, bei auch sonst unartiger Aufführung). Gleichzeitig mit dieser Stellung – welche den E. P. endlich von seiner Familie ganz unabhängig machte, weshalb er nun ohne Beschwer in der Porzellangasse wohnen blieb – verhalf Grete dem Kleinen indirekt auch zu einer Frau. Die lernte er in einem Büro der Bodencreditanstalt kennen, wo sie stenotypierte. Sie hieß Rosa mit dem Vornamen und wurde später, als sie schon mit E. P. verheiratet war, also ab 1924, Frau Roserl genannt. Beide blieben in der Bank tätig, was sie nicht unbedingt nötig gehabt hätten. Aber freilich, das Werk zu Smidary hatte der Bruder erhalten, und auch sonst war E. P. bei der Erbschaft nach seinen Eltern nicht eben vorteilhaft weggekommen, ganz abgesehen von der teilweisen Entwertung des Vermögens durch die Kriegsfolgen. In der Hauptsache blieb ihm nur die große eingerichtete Wohnung.
Zu Frau Mary K. ist E. P. nach dem Bruch mit Grete nie mehr gekommen, was verständlich erscheint.
    Zum ersten Mal hatten er und Stangeler im Jahre 1915 miteinander gesprochen, in einem niedrigen Hause am Eingang eines slowakischen Dorfes, an welchem Hause man, sommers vom Exerzierplatz kommend, fast immer in schwerem Durste vorüberritt. In der Nähe war ein Wirtshaus-Schild, darauf stand ›Bor, Sör, Palinka‹ (Bier, Wein und dergleichen) und dann, weiter, kündigte irgendein Werkplatz Rohre von Beton und ähnliche Materialien an, die da auch bildlich dargestellt sich zeigten. Diese zwei Ankündigungen wirkten auf den Durst leiden den Menschen in einer sehr verschiedenen, scharf gesonderten Weise, ganz präzis: die erste zog an, die zweite, mit den Baumaterialien – welche man dahinter in der mittäglichen Sonnenglut gelagert sah oder nur dachte – stieß deutlich ab. E. P. stand am ebenerdigen Fenster. Jenes Wirtshaus besuchten die Zöglinge der Reserve-Offiziers-Schule nie, sie hatten ja auch keine Gelegenheit dazu; denn drinnen im Orte wußten sie, einmal abgesessen, nähere und bessere. E. P. stand am Fenster, weil seine Eskadron um etwa eine halbe Stunde früher einzurücken pflegte als jene, in der René ritt und die nun im Schritt vorüberkam. Stangeler, der am linken Flügel einer Reihe mit Vieren eingeteilt war, dankte für den Gruß und winkte aus dem Sattel. E. P. verzog das Gesicht zu einem kleinen Lächeln.
    Das Weiße seiner Augen war nicht ganz rein, in diesem mandelförmigen Schnitt stand eine Trübung, die seltsamerweise ein Element seiner Anmut ausmachte. Der sehr kleine gedrungene Körper, sehnig und muskulös, hatte doch die Neigung zum Speckansatz, er war der geeignete Platz dazu, möchte man sagen, das Fett hätte gut darauf gepaßt, und zwar in einer nicht angenehmen Weise, besonders an Hals und Nacken. E. P. hätte, wäre er wirklich fett gewesen, eine irgendwo in ihm vorhandene wenig sympathische Möglichkeit seiner Physiognomie verwirklicht. Damals war er hiezu allerdings bei weitem zu mager und zu unglücklich, verlassen und anlehnungsbedürftig: eine solche Verfassung schaute ihm aus den Augen. Seine Beine waren etwas zu kurz, er sah zu Pferd mit seiner kleinen Statur eher wie ein Jokey aus, denn wie ein künftiger österreichischer Kavallerie-Offizier, und das hat ihm einmal Schwierigkeiten zugezogen, trotz seines eminent schneidigen Reitens. Es eignete ihm eine skurrile Originalität und ein ebensolcher, sehr bedeutender Charme; die Eitelkeit der kleinen Männer hatte bei ihm in bissige Selbst-Ironie umgeschlagen. Er war grundgut, eine aufgeblätterte, sich mitteilende Seele, aber von nicht selten wild hervorbrechender Leidenschaftlichkeit, und diese gab ihm dann das Ansehen eines erbosten kleinen Eichkaters, der auf seinen Gegner losspringt, um sich zu verbeißen. Er hat einmal in solcher Art die Grete Siebenschein attaquiert: und sie sogar wirklich ins Genick zu beißen versucht – ihrer Schilderung nach.
    Die elterliche Wohnung in der

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