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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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entlang sehen konnte. Grete und René standen eine Weile Arm in Arm am Fenster. Sie hielt einen Staubwedel mit Federn am Rohrstock in der Linken. Man sah jetzt, da sich dort unten jener durch die Gasse in zwei Teile zerlegte Auto taxi-Standplatz befand (der im Zusammenhang mit Frau Mary K. schon einmal unsere Aufmerksamkeit auf sich zog), einen Wagen ohne Geräusch langsam quer über den Fahrdamm rollen. Die Wipfel der am Donau-Kanal stehenden Bäume waren noch tiefgrün und deckten über dem Wasser die unteren Fenster-Reihen der drüberen Häuser.

    Am Nachmittage fuhr Stangeler heim. Grete hatte noch das Haus für den Sonntag verproviantiert und schickte sich an, ihre Eltern vom Bahnhof abzuholen. René wurde dazu nicht mitgenommen, wenngleich er beim Gepäck und dergleichen eine Hilfe hätte sein können; aber Frau Siebenschein befand sich erfahrungsgemäß auf Reisen und besonders nach Reisen und bei allen ähnlichen Anlässen überhaupt in einem Zustande gesteigerter Auflösung, wobei unweigerlich auch irgendeine ihrer zahlreichen Krankheiten herangezogen zu werden pflegte, auf welche sie dann glücklicherweise meistens wieder vergaß, sobald die Situation sich einigermaßen beruhigt hatte. Dieser schlanken, ja dünnen, sehr klugen und vigilanten Frau schien gewissermaßen das eigene Gewicht zu gering um einen gehörigen Druck und Nachdruck auf ihre Umgebung und besonders auf den für ihren Geschmack allezeit allzu vergnügten Gatten zu legen. Und so verstärkte sie es durch Anfälligkeiten von jederlei Art, wenn die Aufmerksamkeit der Umwelt für ihre Person etwa nachzulassen schien.
    Stangeler sollte am morgigen Sonntag nachmittag erscheinen.
    Montags wollte der Doktor die Tätigkeit in seiner Rechtsanwalts-Kanzlei wieder aufnehmen (deren Räume schlossen sich hier an die Wohnung an, was bei Advokaten zu Wien sonst nicht eben Gepflogenheit ist), und für Mittwoch, am Nachmit tage, war bereits eine wichtige Konferenz angesetzt, bei welcher Grete ihrem Vater als Sekretärin, ja eigentlich als eine Art stets bereite Protokollführerin dienen sollte. Sie war ja auch sonst im Geschäfte tätig, aber sehr mit Maß und keineswegs in täglicher ertötender Arbeit; der Alte meinte, ihre Begabung läge mehr im ›Dichten und Trachten‹ (nach seiner eigenen Ausdrucksweise) als darin, immerfort irgendwas zu tun. Der Doktor Ferry respektierte jede Eigenart, auch bei seinen Kindern. Daß Grete nicht die Rechte studiert hatte, war bei dem Fehlen eines Sohnes oder wenigstens eines juristisch graduierten Schwiegersohnes (wie ihn auch Frau Siebenschein vermißt hatte!) sehr zu bedauern. Aber Grete war bereits im Gymnasium auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen, was die Lernerei betraf, und jeden wie immer gearteten Zwang lehnte dieser Vater ab. Indessen wußte seine ältere Tochter um alles, was in der Kanzlei von einiger Erheblichkeit war, ja der Alte ging so weit, sie nicht selten um Rat zu fragen, wobei sie allerdings durch das Fehlen juristischer Fachkenntnisse am Wesentlichen oft gänzlich vorbeischoß, zur größten Erheiterung des Doktors, mitunter aber in aller Unbefangenheit gar sehr und geradezu aufschließend das Richtige traf. Hier muß nun freilich bemerkt werden, daß die Kanzlei des Doktor Siebenschein zu jenen damals immer zahlreicher werdenden Rechtsanwalts-Bureaus gehörte, deren Tätigkeit ihrem Schwerpunkte nach zunehmend außergerichtlich wurde – mit Industrien und sonstigen Geschäften der allerverschiedensten Art verfilzt – also daß man einen solchen Advokaten kaum mehr als Mann des Forums bezeichnen konnte. René wurde also entlassen, um am Sonntage wiederzukehren, fiel demnach an diesem Samstage unvorbereitet in einen leeren Nachmittag und Abend.
    Jetzt erst gedachte er wieder der gedoppelten Damen, der Zwillinge (der Rittmeister pflegte für sich dieses ihm längst geläufige Phänomen noch ganz anders zu bezeichnen – aber er soll sich später selbst damit hören lassen). Es war René also sehr leicht gefallen, in diesem Punkte seiner Grete gegenüber verschwiegen zu sein. Wie er diesen Gegenstand nun hin und her wandte, hin und her rollte, wie eine Kugel, mit der man spielt, blitzte er bald in Wichtigkeit auf, bald wieder schien's wie eine lächerliche Lappalie, irgendein Trick, ein Nichts. Jedenfalls wollte er weiter Schweigen darüber bewahren; und seiner zentrifugal mitteilsamen Natur ahnte bei dieser Gelegenheit, daß Verschwiegenheit schon an und für sich eine Macht darstelle durch den

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