Die Strudlhofstiege
Mädchengesicht aus den etwas deutlicher und deutbarer gewordenen Zügen heraus, ja es sprang ihn geradezu lustig an. Und was den Major anging, so hatte der auch seinen Amtsrat immer noch auf den Beinen eines Infanteristen gestanden. Unweigerlich glitt jetzt in Melzer der kurze Blitz eines Gedankens zu Editha, deren unverändertes Aussehen ihm jene Freude nie hatte bereiten können, sondern ein schwindelndes und leeres Gefühl jedesmal hervorrief, wenn er sie mit dem Mädchen hatte verbinden wollen, das einst im weißen Piqué-Kleide am Tennisplatze hinter der Villa dort oben entlang gegangen war.
Die Post, von Asta erwartet, war mit dem gleichen Omnibus gekommen, welcher den Major vom Bahnhof gebracht hatte; nun wurde sie bereits am Schalter ausgegeben, wobei Bekannte einander begrüßten und durcheinander gerieten; auch Melzer ward hier noch erkannt; es war Herr von W. welcher ihn gleich mit dem Namen anredete, der Sohn des Ministers, der Mann, dessen originelle Häßlichkeit nur wie eine Marotte seiner eigenen Intelligenz wirkte, weil es ihm vielleicht langweilig erschien, obendrein noch hübsch zu sein. Als Asta und Melzer aus diesem ländlich-gemütlichen kleinen Strudel sich gelöst hatten – Asta mit ein paar Briefen und dem Abendblatte der Zeitung in der Hand – begannen sie die Straße hinaufzuwandern. Daß sie ihr nicht lange folgten, sondern sich bald nach links wandten, die gleichen steilen Leiten und Wiesenhänge hinaufsteigend, wie Asta vor nun sechsundzwanzig Tagen, dieses Abweichen von dem einen allgemeinen Verkehrswege des Dorfs, wo man freilich nie sicher sein konnte vor störender Begegnung, ergab sich aus der Art des Gespräches zwischen den beiden, wie dieses sich bald wendete. Übrigens ganz gegen Melzers Erwartungen. Mit sicherem Instinkt hatte Asta gleich in den ersten Augenblicken des Wiedersehens allein durch ihre Haltung genau dort angeknüpft, wo vor vierzehn Jahren nicht sie, sondern er abgebrochen hatte, und das großmütige Übergehen dieser Tatsache verlieh ihr eine Art von Würde und Noblesse, welche Melzern ahnen ließ, daß jene keineswegs um seinetwillen von Asta beispielhaft gezeigt wurde, sondern nur um ihrer selbst willen, also eigentlich nicht nach Frauenart. Sie kam mit Worten gar nicht auf die Vergangenheit; sie hielt ganz offenbar zur Wiederherstellung der Verbindung zwischen Melzer und ihr ein fast schon mehr höfliches als sentimentalisches Zurückgehen auf gemeinsame Reminiszenzen für durchaus entbehrlich; sondern sie setzte jene Verbindung einfach als bestehend und einer Wiederherstellung gar nicht bedürftig ohne weiteres voraus und sie orientierte den wie gestern gesehenen Freund über das, was jetzt und hier los, und zu wissen notwendig war, ja für ihn zu wissen sich recht eigentlich gebührte. So blieb in ihrem Reden vom Jetzt die volle Gültigkeit des Ehemals mit eingeschlossen.
Dieses Jetzt hieß diesmal nicht Semski oder Ingrid, sondern Etelka.
In des Pfarrers Wald saßen sie nieder, auf einer vermoosten und morschen Bank, die einige Vorsicht erforderte (Melzer aber ertappte sich nicht bei einer unsinnigen Vorstellung, die jetzt tief in seinem Innern sich so kurz nur regte wie ein kleiner Vogel die Schwingen lüpft: daß hier nichts passieren könne, mochte das Ding auch wackeln, da er selbst ja gegenwärtig ganz leicht sei). Wie einst in dem Sprechzimmer der Konsular-Akademie, als Asta den Teddy Honnegger unterrichtet hatte über die bestehende Situation, unnötigem Her umreden zuvorkommend, so schnitt sie auch jetzt wie mit einem einzigen Zirkelhiebe alles, was Etelka anlangte, aus dem Unbekannten und Unbestimmten heraus (war es der Vater, welcher in ihr selbst ihrem eigenen Reden oft ungeduldig zuhörte?). Über Fraunholzer, den Melzer ja nicht kannte: »gutes Herz, treu, jähzornig und gescheit, sieht aus wie ein alter Römer, wie der Gnaeus Pompejus – mein Vater, wenn auch gänzlich anders in vielen Stücken, war vielleicht in seiner Jugend ihm irgendwie ähnlich.« Und weiter: »Pista Grauermann kennen Sie. Er hat sich nicht im geringsten verändert. Klug, korrekt, kalt wie ein Eiszapfen.«
»Welch ein Gegensatz!« rief Melzer lebhaft, wenngleich er's nur tat, um irgendetwas zu sagen und damit angesichts des Leidvollen, Bedenklichen und Bedrohlichen, wovon er hier hörte, seine eigentliche und wirkliche Gemütsverfassung zu verdecken: es war die eines Glücklichen. Als sähe er die Fußstapfen, als könnt' er ihren frischen, scharfen Rand mit dem
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