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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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gleichsam schnitt. Er begann Asta von dem toten Freunde zu erzählen, in wenigen Worten, er sprach einiges über Bosnien und endlich vom letzten Abschied am Lavarone-Plateau.
    Sie hörte ihm sehr ernsthaft zu. »Wie traurig«, sagte sie dann, »wie sehr, sehr traurig. Das muß ein lieber Mann gewesen sein.«
    »Ja, das war er«, antwortete Melzer. Sie hatten indessen die Höhe und die Kehre der Paß-Straße erreicht, traten an's Geländer und schauten in's schon dicht fädelnde Sonnengespinst talabwärts. Dann machte Asta sich auf den Heimweg. Melzer, der hier heroben noch zu verweilen gedachte, blickte ihr ein wenig nach, während sie die Straße bergab zu gehen begann. Jetzt weiß sie also von Laska, dachte er verwundert. Ihm war, als hätte er ein Depot an den richtigen Ort gelegt. Noch blieb das bunte Nationalkleid dort unten zu sehen, wie am unteren Rand einer ungeheuren Bilderwand hingefleckt, als welche sich ihm jetzt die Landschaft übereinander baute, für Augenblicke fast ohne Perspektive, senkrecht empor von den dunklen Grundtönen der Wälder bis zum schwindelnd in die Ferne fallenden Graublau höchster Felskanten.

    Der Doktor Negria war Melzern unbekannt, und in Lederhosen sah er schließlich aus wie irgendein anderer leicht verschwitzter Feschak auch. Angelika Scheichsbeutel (Angely de Ly) aber mußte dem Major, wie's eben jedermann hier ging, auffallen. Ihre Erscheinung wirkte wie das hohe, feine Singen einer Gelse oder Schnake: geradezu maßlos aufdringlich: bei niedergeschlagenen Augen und kindlichem Wesen. Es erinnerten die zuletzt angeführten Ingredienzien sogleich an eine Ansteckung, welche damals unter den Schülerinnen der berühmten Tänzerin W. umging: jene ermangelten, bei höchster Kultur und seelisch-leiblicher Lockerung, doch nicht des unzerstörbar kindhaften Zuges im aufblühenden Weibe, den die rückwärts beutelförmige Haartour unterstrich. Auch Fräulein Scheichsbeutel hatte einen solchen Beutel.
    Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten. Hier wollen wir uns einmal Zihaln ohne jeden Vorbehalt anschließen und seine immer wiederkehrenden halbamtlichen Zwischenbemerkungen durchaus nicht als Störung sondern als Klärung empfinden. Der alte Sommerkellner indessen, welcher in der müden Verfassung eines schon recht abgetriebenen Gaules zuletzt noch, nämlich 1918, über die Barriere zwischen zwei allzu österreichischen Zeitaltern, also über einen Pallawatsch hatte springen müssen, er bewahrte in solcher Verfassung und in dem spärlichen Raume zwischen Haut und Knochen noch jene Instinkte, welche im Vorbeisehen einen richtigen Herrn, nach dem einstmaligen Maße, unfehlbar erkannten: und so er den Major Melzer, dem daher sogleich sein Wohlwollen und sein Diensteifer galten. Er hielt für passend, während des Servierens und über Melzer gebeugt, diesen auf die Zelebrität am Tische dort drüben, nämlich die Tänzerin Angely de Ly, aufmerksam zu machen, diskret raunend; und er fügte hinzu: »Der Herr, welcher mit ihr speist, ist gewissermaßen ihr Beschützer, zugleich ihr Arzt, ein Herr Doktor Negria aus Wien, ich glaube sogar ihr Oheim.« Oheim ist unzweifelhaft etwas Höheres als ein gewöhnlicher Onkel, für den sich jeder ordinäre Kerl aus geben kann. Auch Personen, die eigentlich keine Herrschaften sind, aber solchen doch in die Nähe zu kommen vermögen – wie's eben bei einer berühmten Künstlerin der Fall ist – kann unter Umständen das Recht zur Führung eines Oheims verliehen werden; und zudem, es zierte hier Haus und Lokal. »Ist gewissermaßen Protektors-Person bei ihr«, hieß es noch flüsternd mit Bezug auf den Kinderarzt und alten Bootsmann, der hier abwechslungsweise einmal als fördernder Kunstfreund zum Durchbruche gelangt war.
    Nun, Melzer hatte gerade vor acht Tagen einsehen gelernt, daß man auch Scheichsbeutel heißen könne.
    Man vermochte aus dem Raume, wo Melzer beim Essen saß, in den benachbarten Gartensaal zu sehen, dessen Flügeltüren eben geöffnet worden waren und wo bald auch stärkeres Licht aufflammte. Über Astas Geheiß hatte der Major dort einen Tisch reservieren lassen. Hier herinnen erhob sich die oder jene Tafelrunde und übersiedelte hinaus. Als Angely de Ly mit dem Doktor Negria die Schwelle überschritt, setzte im Saale – er war für ein ländliches Wirtshaus unverhältnismäßig groß und hoch – eine dort schon befindliche Musikkapelle mit kräftigem Tusch ein. Ob dies nun Zufall, Absicht des Wirts, oder ein Arrangement des

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