Die Strudlhofstiege
Finger berühren, so eindringlich lag hier der Schritt vor ihm, den das Leben in diesen vierzehn Jahren getan hatte: und zum Besseren, zur Befreiung, wie ihm schien. Eine Wärme des tiefsten Dankes und der Sympathie überkam ihn für Asta, die getreu durch all die Jahre einen Platz offen und frei gehalten hatte, für ihn, den er damals zu besetzen nicht fähig gewesen war, auf dem er aber heute glücklich und wirklich sich befand (und – der Zivil-Verstand gedieh ja in frischer Vorwärts-Entwicklung! – vielleicht ahnte ihm sogar, daß ein solcher Platz, wenn eine Frau von der Art Astas ihn anweist, sich nahezu messen kann im Werte mit jenem, den sie ihm nicht hatte gewähren können). Hier war etwas vorwärts gegangen, hier war keine Drehung auf der Stelle erfolgt, sondern ein ausgreifender Schritt, hier schien das andere Ende einer sehr langgestreckten Ellipse erreicht, wo sich die Kurve harmonisch schließt. Er hätte Asta jetzt gerne um die Schultern genommen und sie herzhaft gebeutelt.
»Auf den Gegensatz kommt es sehr an«, replizierte sie jetzt auf seine Äußerung. »Genau genommen bleibt ja das ganze Werkel immer nur durch solche Kontrapunkte im Gang. Manchmal find' ich's schon langweilig, stinkfad' geradezu. Mit diesem Imre ist's natürlich auf andere Art genau das gleiche.«
So saß er denn hier, Melzerich, der Krebs Melzerich, ein wenig hervorgekrochen aus seiner Höhle unter dem Steine, mit geruhsamen Ad-notam-Nehm-Äuglein; auf dieser hochgelegenen Bank neben Asta, in Freiheit, dem Terraquarium dort drinnen in der Stadt entronnen, wo Unzulässiges durcheinanderkroch, Gletschermühlen sich drehten, Editha und Eulenfeld, Scheichsbeutel und Oki Leucht (puncto Scheichsbeutel täuschte Melzer sich vollkommen: der zum Beispiel war noch in Paris und stand jetzt, zu dieser Stunde, sich grenzenlos aber völlig unmerkbar langweilend, mit bis zum Absoluten perfektionierter hörnerner Gleichgültigkeit hinter Lasch im Salon eines bekannten Händlers von Halb-Edelsteinen, sowie neueren aber auch antiken Gemmen und Kameen, unter welchen sein Herr seit einer und einer halben Stunde wählte). Hier saß er, Melzerich, blickte in die schöne Natur und war über das Müssende beruhigt. Beruhigt zudem, weil er es hier doch auch wieder angetroffen hatte und sich keineswegs etwa, selbst voll Gekrabbeis und Gequabbels, einer an absolute Leere grenzenden Reinheit und einer heillosen spinatgrünen Erhabenheit hilflos gegenüber fand. Sie starrte ihn nicht an in ihrem abweisenden Selbstbewußtsein und unter lautlosem inn ren Donner in den sonnigen Himmeln: sie sank, sie hob sich, sie atmete, sie tat den großen Schritt mit ihm; sie flügelte aus und bot dar mit einer offenen Waldschneise, durch die hier der Blick gehen konnte, wenn man ein wenig ihn wenden wollte, sie zeigte nicht nur die Felsmauern des Bergs, der in den Himmel graute, sondern auch das aus vielen grünen Höhen zusammenfließende Tal und die Sonne auf dem Dach eines Gehöftes am anderen Hang.
Asta erzählte nicht viel Einzelheiten. Es blieb bei der gegebenen Strichzeichnung der Lage, ein orientierendes Croquis, fast von militärischer Kürze. Übrigens würde Melzer bald Etelka zu Gesicht bekommen: in dem unteren Hotel, wo er wohne, stehe für den heutigen Abend irgendeine Tanzerei und Unterhaltlichkeit bevor; auch Etelka und Asta beabsichtigten zu erscheinen, ebenso die jungen Herren von W. und andere Bekannte. Ansonst wäre das bei solchen, hier nicht gerade häufigen Anlässen übliche Gemisch von Sommergästen und Einheimischen zu erwarten, welches eines eigenen und harmlosen Reizes nicht entbehre. Für den morgigen Sonntag wurde Melzer von Asta auf die Villa eingeladen, um dort auch mittags zu bleiben.
Sie erhoben sich und folgten dem Kamme, in der schon schrägeren Abendsonne, schweigend und langsam dahingehend auf den ebenen Teilen des Wegs. Für Augenblicke war's Melzern so zu Mute, als schritte er wie auf einer Galerie über seinem sonstigen Leben, oder gleichsam auf dessen Dachfirst. Was ihn hier für's erste erwartet hatte, schien ihm jetzt ein durch eigenes Zögern während eines ganzen Sommers aufgestauter Gewinn: und am Ende war er also doch zur rechten Zeit herausgefahren? Dieses Gehen hier auf der Schneide zwi schen zwei Tiefen und Tälern ließ in Melzer für Augenblicke Erinnerungen an die Treskavica, die Bärenjagd und damit freilich an den Major Laska aufsteigen: wie aus diesem Kamme hier und genau aus der eigenen Mitte, die jener
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