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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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und Abend nicht frei. Er will dich sehen. Also für Mittwoch, ja?« wiederholte sie, verschwand hinein und schloß die Türe hinter sich.
    Eulenfeld, nachdem er einige Worte zu Stangeler gesprochen hatte, übergab den Hörer an Editha.
    Wie mit einem einzigen Schlage brach die entbehrte Ferne hier in's Siebenschein'sche Vorzimmer ein, waren alle nicht getanen Reisen ersetzt, die zeitmessenden Taxis überwunden und bedeutungslos geworden, taumelte die Gondel hoch im Weitblick über die Stadt und den Strom. Einen Augenblick lang nur fühlte er sich von Grete in einer unerwünschten Weise getrennt, schob sich etwas dazwischen, was anscheinend kein einmaliger Punkt bleiben wollte, sondern schon als Linie lief. Aber plötzlich empfand er sich auch dieser Linie ledig. War man doppelt, dann war man auch nicht wirklich, so schien's ihm jetzt. Und auch Grete war nach Paris davongefahren. Sie mußten beide wiederkehren, zurückkommen von draußen, um zusammentreffen zu können. Nicht nur sie allein.
    Er versprach, am Mittwoch-Nachmittage zum Tee zu erscheinen.

    Das Zimmer war groß, kühl, komfortabel, vom Schein des dichten Grüns vor den Fenstern ganz durchflossen, fast in einer Art von Unterwasserlicht stehend, auch füllte das Bild der Baumkronen den hohen altmodischen Spiegel im Hintergrunde. Holzgeruch und frische Bettwäsche waren zu spüren und von draußen eine balsamische, pflanzlichen Atems voll gesättigte Luft. Das Rauschen des Baches, deutlich hörbar, ward jetzt unterbrochen von einem kurzen, mit erstaunlicher Gleichzeitigkeit einsetzenden und wieder abbrechenden Chorus der Gänse.
    Als das Zimmermädchen gegangen war, stand Melzer regungslos und in einem solchen Zustande des Erstaunens, als wäre er hier nicht mit Vorsatz eingetroffen, sondern unvermutet eingeschossen und wie ein Meteor in die Sphäre eines fremden Planeten. Sein Blick blieb im Grün, das hier alles erfüllte. Er sah hinein wie in den Spiegel eines tiefen Weihers. Die Unbegreiflichkeit seiner an sich doch ganz alltäglichen Lage traf ihn jetzt fast mit einem Gefühle des Glückes bei der Vorstellung, hierher versetzt worden zu sein durch einen Antrieb aus seinem eigenen Innern, allein und ohne jede äußere Raison oder Zweckmäßigkeit. Er fühlte sich als Souverän der Situation und demgemäß auch leiblich mit Deutlichkeit als den Mittelpunkt einer gleichsam von ihm selbst geschaffenen Welt.
    In diesem schwebte er nun durch Augenblicke, wobei es freilich nicht bleiben konnte. Melzer öffnete das Necessaire, wusch die Hände, tat ein paar Bürstenstriche und ging in den Wirtsgarten hinab, um Kaffee zu trinken. Als er das Zimmer verließ, sah er eine Zeitung, zu Wien am Südbahnhof gekauft, frisch gefaltet und ungelesen neben der kleinen Lederkassette am Diwan liegen. Er ließ sie da. Der Anblick befriedigte ihn. Einen Augenblick lang stellte er sich das Bahnhofs-Café vor, wo er vor Abgang des Zuges gesessen war; und der weite, halbleere Raum schien ihm jetzt tief nach rückwärts zu führen und wie ein Resonanzboden oder Geigenbauch zu schwingen, belebt und vertraut. Im Garten war es sauber und laubschattig, der Schritt eines alten Kellners befliß sich auf dem Kies, und draußen, um eine scharfe Kurve der Dorfstraße, die unsichtbar blieb, durch den hohen lebenden Zaun von Gebüschen, kam in Pausen, wie ein jedesmaliger stoßweiser Atem oder rauschender Guß, jetzt schon häufiger das Gebraus von Automobilen und Motorrädern vorbei, die von der Stadt herausgefahren waren und nun auf die Höhe des Passes eilten. Melzer geriet hier auf den Gedanken, eine Ansichtskarte an Thea Rokitzer zu schreiben. Aber weil er nicht wußte, ob sie schon in Wien sei und nicht einmal ihre Hausnummer in der Alserbachstraße kannte, unterblieb es. Er ging langsam die Straße hinauf. Bei der Post stand Asta in der Sonne.
    Sie begrüßten einander herzhaft und als wären sie gestern beisammen gewesen, es geschah mit unverhohlener Freude. Sie erkannten einander insofern als gleichartig in diesen ersten Sekunden, als sie beide, allein schon dem Leibe nach, der zerstörenden und erniedrigenden Arbeit von vierzehn Jahren ganz und gar widerstanden und sich jeder für sein Teil beisammengehalten hatten, statt auseinander zu laufen, was ja bei so manchen auch vorkam (wenn man da etwa an Marchetti dachte!), die rasch den zeitlichen Abhang hinabkollern, dabei in einen jener formlosen Patzen verwandelt, welche dort unten dann liegen bleiben. Mühelos sah Melzer Astas

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