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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Bootsmannes (Lotsen) war, blieb ungewiß. Auch Melzer ging hinaus. Der alte Kellner zeppelte ihm voran und wies den reservierten Tisch, daran etwa acht bis zehn Personen Platz finden konnten, und wenn's gerade sein mußte, noch mehr … Es war ein guter Platz, ein wenig abgesondert, zwischen aufgestellten Rollwänden, fast eine Art Loge, und in einer Ecke des Saales gelegen, der, nur am Rande mit Tischen besetzt, in der Mitte frei blieb für die Tänzer, frisch gewichst und spiegelnd. In der Melzern schräg ge genüber liegenden Ecke befand sich die geräumige und hohe Musik-Estrade, auf welcher aber diesmal keine ländliche Kapelle mit Blechinstrumenten etabliert war, sondern ein zwölfköpfiges Tanzorchester mit allem was dazu gehört. Man hatte es offenbar für diesen Abend kommen lassen. Schon wurde die weite Bodenfläche beschritten, beschliffen, bewiegt.
    Melzer saß hier nicht ohne Verwunderung. Dies alles ging gegen seine Erwartungen, es entsprach keineswegs dem, was er sich unter diesem Ausfluge vorgestellt hatte (etwa eine Ersteigung der Rax-Alpe und danach ein kurzer Besuch auf der Villa Stangeler). Aber das Einverständnis, in welchem er sich mit Asta fühlte – und auch jetzt durchaus, während sie abwesend war – bewohnte ihn, wie ein neu ihm zugewachsenes Geschenk.
    Melzer hatte Wein einkühlen lassen, trank aber jetzt schwarzen Kaffee und zwar zwei- oder dreimal hintereinander, was von seinem sonst immer maßvollen Genuß dieses Giftes ganz erheblich abwich. Aber in ihm drängte es nach erhöhtem Wachsein. Die Lage schien ihm das irgendwie zu erfordern; indessen, was war das nun eigentlich für eine Lage? Und konnte man diese wenig besagende Situation hier mit einem solchen Worte ansprechen? Wie in einem Gefäß, das man getragen und abgestellt hat, darin aber die Flüssigkeit noch nicht zur Ruhe gekommen ist, sondern hin- und herschwappt, so wogte in ihm noch das Grün von dem Gang im Freien auf dem erhabenen Kamme und mit den wahrhaft erhabenen Bildern, welche sich von dort dem ausfallenden Blicke geboten hatten; und während hier ein Zuviel an elektrischem Licht einen lächerlichen Aufwand beschien und sich auch schon einige Dörfler – garnicht ungeschickt – in englischen Rhyth men zu wiegen begannen (welche damals bereits auf ähnliche Weise in aller Welt den Tanz monopolisierten, wie es in der vorhergehenden Zeit die Drei-Viertel-Takt-Infektion von Wien aus vermocht hatte) – während dieser an sich harmlosen Veranstaltungen, denen doch ein Beigeschmack von Prätention nicht fehlte, lag in Melzer noch immer die schräge Abendsonne von dort oben, das Gold, in welches das Grün sich auflösen wollte wie verdampfend, und das erkühlende Blau einer tief sich auswölbenden Himmels-Schale. Zwischendurch beobachtete er ohne jedes Interesse, nur weil's gerade gegenüber von ihm geschah, wie mehrere Feschaks nacheinander, welche Angely de Ly zum Tanze aufforderten, einen Korb bekamen. Die Tänzerin tanzte hier nicht. (Nun, vor gar nicht langer Zeit hatten Koryphäen in der hiesigen Dorfkirche gesungen; aber, je weniger einer hat, desto höher muß er es halten.) Melzern amüsierte es zu sehen, wie sich da jeder zuerst mit einer Verbeugung an den Herrn Doktor wandte (als an die »Protektors-Person«, um mit dem Haut- und Knochenkellner zu reden), solchermaßen die Erlaubnis zur Aufforderung einholend. Negria erwiderte immer mit einer kleinen schlampigen und hilflosen Gebärde auf seine Dame weisend, welche alsbald kindhaft-weiblich und sanft das Haupt schüttelte und den Blick niederschlug. Noch während der Major dem zusah und bei sich dachte, daß sie später wohl noch tanzen würde und nach solchem Hinausschieben erst mit dem gehörigen Effekt, wurde sein leerer Tisch geradezu wie mit einem Gusse überschwemmt, denn Etelka und Asta samt Begleitung waren eingetroffen. Diese bestand nicht nur aus den Enkeln des Ministers sondern aus noch weiteren vier oder fünf Personen, worunter ein Ehepaar mittleren Alters; man hatte zum Teil wohl erst hier, im Vorraum oder im Saale, einander getroffen. Etelka begrüßte Melzer, ohne eigentlich sogleich zu wissen, wer das nun sei. Dann geschah das kreuz und quere wechselseitige Vorstellen derjenigen, die einander noch nicht kannten, eine bis zum Symbol oder Kurz-Zeichen unverständlich gemurmelter Namen und ausgetauschter kleiner Verbeugungen abgeschliffene Zeremonie, welche den Major durch Augenblicke lebhaft an den verwichenen Sonntag und das

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