Die Strudlhofstiege
begann sogleich wieder beim Verlassen des Kais – nach einer fast vollkommenen Deckung, ja nach nichts Geringerem als nach der Einmaligkeit und Einheit der Person, an welche Möglichkeit sie heute noch wie in den Kindertagen im Grunde ihres Herzens glaubte und wovon sich jede, freilich unvermeidliche, Abweichung zehnfach verschärft abhob.
Leicht entsteht dort Streit, wo einer den anderen zur größten Nähe insgeheim für verpflichtet hält.
Jenes Abholen vom Bahnhof war dabei das geringste. Im Wesentlichen ging's um zwei ganz andere Punkte: um die Eltern Pastré und um den Major Melzer. Und hier sollte Editha weiterhin auf einen entschiedenen Gegner stoßen: nämlich Eulenfeld.
Es war die spätere Wiedervereinigung und Versöhnung der nun neuerlich gedoppelten Dame Mimi Pastré-Scarlez mit ihren alten Eltern ein Auftritt nicht ohne Schrecklichkeit. Aber er betraf den Major nicht, und er ist erfolgt, als in Melzerischen Sachen alles schon entschieden und auch sonst sämtliche Kühe, heißt das, alle Damen überhaupt, aus dem Stalle und zum Teil sogar aus dem Häuschen waren. Jedoch dieser Endeffekt und Schlußpunkt gedoppelter – Bübereien, möchte man fast sagen, wenn den Eltern Pastré nicht eben zwei liebliche Mädchen beschieden gewesen wären, dieser Paukenschlag hätte ja nach Edithas Willen viel früher und auf gänzlich andere Weise erfolgen sollen, als dann geschehen ist (und wie wir hintnach noch berichten werden, denn völlig schenken kann man sich diese Sache nicht). Nämlich keineswegs improvisiert und überhaps, sondern wohlvorbereitet. Einen Sommer lang wäre dafür Zeit gewesen und ebenso in der Angelegenheit Melzer. Jedoch, wie Editha noch um die Mitte des August in Salzburg wieder von Mimi hatte erfahren müssen: nichts war geschehen, was die Alten betraf, überhaupt rein gar nichts, und was Melzern anlangte, gab es da keinerlei greifbares Ergebnis. (Dafür holte Mimi sie am Ende vom Bahnhofe ab!) Zu Wildungen – es ist seltsamer Weise jenes selbe Bad im Waldeck'schen gewesen, wo die Eltern Pastré seinerzeit ihre calvinischen Gallenblasen oder Nierndln zu kurieren pflegten, nach Geyrenhoffs Erzählung, was sie indessen längst aufgegeben hatten – zu Wildungen, wo Editha sich seit 1923 immer wieder aus guten Gründen des längeren aufhielt, hier waren auch nach Mimis Ankunft in Wien die Briefe der Eltern keineswegs ausgeblieben; und Editha mußte antworten und berichten, welche Kur sie gebrauche und ob ihr diese gut anschlage, und welcher Arzt sie behandle und ob die und die Leute noch da seien oder Geschäfte von ehemals oder Conditoreien, in welchen man gerne deutschen Obstkuchen gegessen hatte, und so weiter und so fort. Auf alles das hieß es antworten, also seitenweise Lügen aus dem Federstiele lutschen, deren Hervorbringung zwar allezeit Edithas spezielles Fach gewesen ist, aber hier wurde es oft zu viel. Weder gebrauchte sie eine Kur, noch kümmerte sie sich um irgendwen, außer um einen mehr als wohlhabenden Wiesbadener Zigarrenhändler, der aber zu Wildungen eine ihm wichtige Filiale hielt, besonders wichtig auch, weil er durch eben diese nun genug geschäftlichen Anlaß gewann, um den Sommer in Wildungen und Umgebung mit Editha zu verbringen, weit vom heimatlichen Wiesbaden, wo man ihn allzugut kannte. Freilich mußt' er von Zeit zu Zeit wieder dahin, denn selbst für einen Nicht-Tabak-Fachmann, ja sogar für einen Nichtraucher, liegt es nahe zu denken, daß ein derartiges Geschäft in Wiesbaden immer noch mehr zu bedeuten hat als eines dort im Waldeck'schen, sei's gleich in jenem frequentierten Bade-Ort … Genug: die Briefe der Eltern kamen weiter und weiter den ganzen Sommer hindurch, woraus unumstößlich hervorging, daß Mimi noch immer nicht bei ihnen gewesen war, um dort vorläufig einmal als Editha deren Stelle vertretungsweise und besuchsweise einzunehmen, was die beste Gelegenheit geboten hätte, sich wieder ein wenig an die Alten zu gewöhnen und das Terrain zu erkunden: in Ansehung der zu ordnenden Erbschaft, welche da schließlich in absehbarer Zeit würde auf's Tapet kommen, und also rein im Interesse Mimis wichtig genug. Denn hier mußte ja nichts Geringeres vorgenommen werden, als die Änderung eines Testamentes! Zu Salzburg und München, wenn die Zwillinge zusammentrafen, halfen auch alle Vorhaltungen und Eindringlichkeiten nichts. Da mußte ja bei Editha früher oder später die Pastré'sche Schärfe hervorkommen! Von Melzer ganz zu schweigen.
Denn niemand
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