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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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hätte sie den Rittmeister vor wenigen Tagen dort noch in der Florida gesehen und nicht, als stände er nach vierjähriger Trennung vor ihr.
    Jene oben wiedergegebenen hausmeistertechnischen Erwägungen aber waren von Editha Schlinger bereits eine halbe Stunde, nachdem sie Mimi auf dem Pier zu Bordeaux um armt hatte, angestellt worden, ja, man war noch kaum ins Hotel gelangt (auf solche merkwürdige und verhutzelte Art trug Editha die Erde des Vaterlandes auch in der Fremde an den Sohlen). Jedoch, es war die aus der Ferne Gekommene, welche das Allzu-Nahe und Nächste sogleich provozierte. Und an diesem Punkte, einem neuen Ausgangs- und Anfangspunkte, trat ohne Verzug, wahrhaft unverzüglich, hervor, was den eigentlichen Unterschied zwischen den leiblich so täuschend ähnlich beschaffenen Schwestern ausmachte (und wovon sich der Herr Georg von Geyrenhoff nichts hat träumen lassen vor vierzehn Jahren, mochte er gleich mitunter vermeinen, alles am besten oder überhaupt allein zu wissen). Sie waren also noch nicht einmal mit Mimis schönen Koffern in ihr Hotelzimmer nahe der großen Oper gelangt, als jene bereits für ihren Wiener Aufenthalt eine – eine einzige – Bedingung stellte: wenn sie schon Editha's Rolle zu spielen bereit sei für einige Zeit, etwa jenem Amtsrate oder Major von der Tabak-Regie (›Major von der Tabak-Regie‹ – so wörtlich) und auch anderen gegenüber, so verlange sie dabei doch unbedingt, daß es in formeller Beziehung korrekt zugehe; ihr Paß sei in Ordnung und sie gedenke davon Gebrauch zu machen, übrigens sogar zu Wien beim argentinischen Generalkonsulat vorzusprechen, weil sie dort für ihren Mann was zu bestellen habe, und so weiter (sehr wohl möglich auch, daß Enrique Scarlez obendrein seiner Frau ein korrektes Verhalten in bezug auf die erwähnten Äußerlichkeiten eingeschärft hatte). Nun, das alles hat Editha damals zu jener raschen Musterung der hausmeistertechnisch-polizeilichen Situation veranlaßt, welche wir (als gelernte Österreicher) gleich einmal vorweg genommen haben. Aber die Gefühle der Editha Schlinger waren während solcher Erwägungen gemischt, und sie waren auch schmerzliche. Hier, in dieser ›Sucht nach Ordnung‹ (wie sie's jetzt rasch und insgeheim benannte) bei ihrer Schwester, lagen die wahren Wurzeln der Trennung vor nun siebzehn Jahren, sie ahnte es wohl, und hatte es vielleicht damals schon als halbes Kind ahnungsweise gewußt.
    Und so stimmte sie denn ihrer Schwester zu.
    Die Hawelka bekam zu Wien die ausgefüllten Meldezettel und sogar den Paß: bis dahin – die Papiere wurden ihr am Tage nach Mimis Ankunft übergeben – hatte die Hausmeisterin ihrerseits der Frau Schlinger durchaus gar nichts von der ausländischen Zwillings-Schwester überhaupt geglaubt, sondern war der naheliegenden Meinung gewesen, Editha kehre neu ausgestattet aus Paris zurück (denn wie hätte ihr der letzte Umstand entgehen können), und was der ganze Schwindel bedeute, dahinter würde man schon noch kommen. Nun jedoch – nichts kann dem zihaloiden Menschen einen so entscheidenden Eindruck machen als dokumentarischer Erweis, Papier und Stempel! – nun jedoch vigilierte sie in anderer Weise, perlustrierte, soweit sie's konnte, die Scarlez'sche Garderobe, konstatierte jedes neu auftauchende Stück oder identifizierte ein bereits einmal an Mimi gesehenes.
    Das Verhalten der Scarlez gleich nach der Landung in Bordeaux legt freilich auch den Verdacht einer aus früher Jugend noch immer wirksamen Grund-Infektion mit Zihalismus endemicus nahe, welche nun, bei Annäherung an die Heimat, reaktiviert wurde und aus der Latenz heraustrat, um sich alsbald zu manifestieren. Jedoch ist dem entgegen zu erwägen, daß sowohl ihr Vater, als ihre Mutter landfremder Herkunft waren und ganz andere Keime dieses Elternhaus seinerzeit erfüllten; daß sie selbst in der vollen Bildsamkeit frühester Jugend die Heimat verlassen hatte; daß sie jetzt zu Bordeaux, im April des Jahres fünfundzwanzig, sich immerhin weit noch von jenem Boden befand. Nein, dieser Widerstand, dieses sofort einsetzende Bestreben, ein Dämmchen der Ordnung gegen Editha zu errichten, es hatte weit persönlichere Gründe.
    Und so auch Edithas schmerzliches Gefühl dabei. Es kann von ihr mit Sicherheit ausgesagt werden, daß ein einziger Mensch ihre Liebe wirklich besessen hat: die Schwester. Und in einem Maße, welches weit hinausging über alle hausmeistertechnischen oder noch trüberen Zwecke, strebte sie hier – das

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