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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Schlinger zurück – gegen welchen er nie ein Wort der Anklage oder Geringschätzung richtete, weil ihm ja Herr Schlinger ebenso unbekannt wie gleichgültig war – und er verstand es, den Eltern in dieser Sache eine sehr ernste Auffassung zu zeigen und sie ein tiefverwundetes Herz ahnen zu lassen, das vornehmlich deshalb von Wien wegverlangte, weil es noch immer den Ort schmerzvoller Erinnerungen floh. Und wenn in Herrn und Frau Pastré gerade um diese Zeit das Mitleid für ihr Kind und für sein Unglück und seine zerbrochene Liebe und Ehe die puritanische Empörung über den erbitternden Skandal einer Scheidung ihrer Tochter allmählich überwog, so ist das zum guten Teil auch den Briefen des Rittmeisters zu verdanken, abgesehen davon freilich, daß die Alten schon deshalb etwas milder dachten, weil ihnen ja nur dies eine Kind mehr verblieben war.
    Gegen das Ende von Edithas Aufenthalt in Südamerika schrieb Eulenfeld eigentlich schon zu viel: gar nicht im Sinne der Auftrag-Geberin, welche diese Korrespondenz auf das Nötigste hatte beschränkt wissen wollen. Denn ihr ahnte, daß der Rittmeister seine Briefschreiberei wohl auch oder gar vornehmlich an den Samstag-Nachmittagen würde abtun, was er nicht selten während der Wintermonate so zu halten pflegte, nach einem guten Schläfchen und einem darnach getanen Satteltrunk sich auf den Sessel vor seinem Schreibtische schwingend. Und diese epistolographische Roß, welches er da ritt, hatte zudem den Vorteil, daß es still genug hielt, um in jeder Gangart die Zuführung weiterer Herzstärkungen zu ermöglichen. Auch dies förderte die Entbundenheit der Gefühle für die an sich ja, ebenso wie der Herr Schlinger, völlig gleichgültigen und unbekannten Eltern Pastré, und die kräftige Er wärmung des Magens wirkte eine ebensolche des Sprachgebrauches. Jeder Tätigkeit, zu der man sich zuerst mit einigem Energie-Aufwande hat zwingen müssen, bekommt weiterhin eine gewisse Ein-Nebelung recht gut, dem Briefe-Schreiben wie dem Rasieren, und bei Eulenfeld war's nun einmal schon lange so, daß er mit derartigen kleinen Praktiken lebte. Nur ging's etwas weit. Er saß wirklich wie in Nebel und Wolken gehüllt an seinem Tische, und nicht nur in solche des Zigarettenrauches. Eben das hatte Editha befürchtet. Denn einmal, als er nach frischem Antraben in einen kurzen angenehmen Galopp übergegangen' war, verstärkte er die Gangart unversehens zu sehr, und so passierte denn ein Lapsus. »Nein, nein«, so schrieb er, »ich hab's lange schon eingesehen: man darf einen Gaul, der gern springt, nicht vor der irish banc noch treiben, das hat mir mein erster Schwadrons-Chef(?!) immer gesagt.« Glücklicherweise hatte Editha seinerzeit Reitunterricht genossen, und ihr erster Lehrer war ein Ulanen-Rittmeister gewesen. Jedoch unter dem Gaul blieb hier nur der Doktor Schlinger zu verstehen, und was unter dem Springen, das erschien überhaupt als fragwürdig. Die ganze Metapher (mit der Editha etwa sagen sollte, daß sie selbst ihren Mann in seine eigenen Fehler gleichsam hineingeritten) war ein auf allen vier Beinen lahmendes Pferd. Aber der Brief befand sich nun schon auf der Post, als dem Rittmeister Eulenfeld am Sonntag-Morgen das Geschriebene aus einem Nebelflecke tauchte. Er dachte freilich sogleich daran, seinem Vetter Joachim ein Telegramm nach München zu jagen und so die Weiterbeförderung des Schreibens zu verhindern. Aber dann ließ er's. Im Grunde war's ihm völlig Wurst. Später einmal hat er leicht grunzend dem Kajetan von S. die Sache gestanden. Es ist freilich und leider un bekannt geblieben, welchen Eindruck die seltsame Wendung bei den Eltern Pastré gemacht hat.
    Derweil lebte Editha zu Buenos Aires durchaus in wohl auseinander gehaltener Zweiheit der Person und in geordneten Verhältnissen, was bei ihr eine gewisse spitalartige Leere erzeugte, sanatoriumhaft und frei von allen sensationellen Keimen. Damals hat sie begonnen bei Enrique und Mimi die Europareise der letzteren zur Diskussion zu stellen und anzuregen, obwohl die Schwester auf diesem Ohre zunächst kaum hören wollte, ja, eine Scheu davor zeigte, welche über den Widerstand gegen eine Neubelebung versunkener Vergangenheiten noch hinauszugehen schien. Editha, hellhörig, fühlte fast etwas gegen sie selbst Gerichtetes darin. Auch dort drüben, sehr bald nach der Ankunft, war wieder in ihr der alte Antrieb mächtig geworden, gleichsam mit der Person ihrer Schwester zur Deckung zu gelangen oder zu

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