Die Strudlhofstiege
Editha besaß eine genaue Abschrift, und das seit Jahr und Tag schon. Jetzt, im Gefühle der Macht und Möglichkeit, den Rittmeister aus Bureau, Brot und Behagen mit einem Schwups auszuheben, wie man die Scheermaus mit der Schaufel hochwirft – denn seine Mutterfirma in England hätte hierin kaum Spaß verstanden – ließ Editha auch schon nach und war auf ihre Art bereits so gut wie gerächt an Eulenfeld für seine Drohung: die er da ahnungslos (oder vielleicht doch nicht so ganz ahnungslos?) gewagt hatte. Mimi weinte. Wie ein Kind, das nicht mehr zu verbergen vermag, was es angestellt hat. Ihr Protest, ihr Aufschrei hatten nun alles noch einmal enthüllt. Eulenfeld ging ohne weiteres auf sie zu, setzte sich vor ihr auf den Teppich, und so, halb ihr zu Füßen liegend, rieb er seine rechte Wange an ihren Händen, ganz nach Bernhardiner Art. Und sagte dabei nichts anderes als »nein, nein«.
Editha sah wie gesättigt aus nach ihrem in der Phantasie genommenen Racheschmause.
Der Rittmeister erhob sich, operierte mit beiden Etuis, wobei rituell zuerst dasjenige mit Schraubverschluß gebraucht ward, und dann ließ er sich in einen Sessel nieder, diesmal näher gegen Editha zu, welche ihm doch noch einige Beachtung oder gar Beschattung zu erfordern schien. Ihr gefestigter Gesichtsausdruck fiel in's Auge.
»Na gut denn«, sagte er, einlenksam, »über Melzer wißt ihr jetzt Bescheid, das heißt, wie ich darüber denke. Bei der herrschenden sträflichen Zerfahrenheit und Gedankenlosigkeit ist da gleich ein Ende ab. Und wegen solcher Kindereien!« »Ich würde schon recht gerne einmal wissen, Otto, wie ich eigentlich dazukomme, mir von dir unausgesetzt Grobheiten sagen zu lassen«, wandte Editha ein. Sie sprach jetzt in aller Ruhe. »Du tust rein, als ob ich deinem Melzer an den Kragen wollte oder ›an die Pelle‹ oder wie du dich da schon ausdrückst: nur weil ich eine Auskunft aus Gefälligkeit von ihm wünsche. Kindereien kann übrigens jeder die Angelegenheiten eines anderen nennen, einfach deshalb, weil sie ihm selbst nicht wichtig sind. Und für sträfliche Gedankenlosigkeit meinerseits schul dest du mir noch den Beweis. Für dein Teil hast du ihn ja geliefert, indem du Mimi auf die Bahn hast fahren lassen.«
»Uff!« rief er, »wer mochte denn da glauben, daß du die dumme Maskerade zu Wien wirklich würdest fortsetzen wollen!«
»Sie fängt erst an«, sagte Editha. »Und warum? Weil ihr nichts gemacht habt. Weder bei den Alten, noch bei Melzer. Könnte längst alles erledigt sein. Ich hab' es schon einmal gesagt.«
»Ja, aber zum Donnerwetter«, polterte Eulenfeld los, »warum denn dem Major gegenüber unbedingt Versteckenspielen? Verzeih einmal, ich bin ja auch nicht vom Schaf gebissen, aber deine Beweggründe sind mir unerfindlich, und wo ich dieselben zu erforschen trachte in ihrem Zusammenhange, dort fehlt ein diesbezüglicher vernünftiger. Warum bist du nicht überhaupt hiergeblieben, wenn dir die Dinge so wichtig waren? Könnte längst alles erledigt sein! Ja dann nimmt man die Affären eben selbst in die Hand! Ganz abgesehen davon ist's auch merkwürdig und paradox, daß du gerade dann verreisest, wenn du nach zweijähriger Trennung einmal wieder mit deiner Schwester zusammen sein könntest!«
Sie sah ihn an, wie man einen Dummkopf ansieht, der eben in einem erschreckenden Maße bewiesen hat, wie sehr er's ist. In ihrem Blicke wechselten Befremden, Vergraustheit, Nachsicht, wie verschiedenfarbige Scheiben, die da inwärts vor das Aug' gezogen wurden, bis endlich etwas erschien, das man nicht anders bezeichnen kann als mit den Worten: denn er ist der Rittmeister.
»Wie ist denn das, Otto«, sagte sie ruhigen Tones, »wenn du dich in eine verliebst, erscheint sie dir nicht einzigartig? Sogar die blöde Thea?«
»Was soll das Theoreticum?« grunzte Eulenfeld. »Nun denn, meinetwegen sei's so.«
»Nun denn«, äffte sie ihn nach, »und wenn's diese selbichte dann plötzlich zweimal gäbe: wird die Attraktion da zunehmen? Na also. Compris? Eben weil Mimi gerade kam, mußte ich wegfahren. Und aus dem gleichen Grunde wird jetzt noch durch eine Zeit sozusagen unical aufgetreten werden und keineswegs doppelt.«
»Da rührt sich einem das Hirn«, sagte Eulenfeld und griff an seinen Schädel. »Der Unsinn erreicht die Höhe des Chimborasso. Dreißigtausend Virginia-Zigarren, fünftausend ägyptische Zigaretten dritter Sorte. Und Weddeklops.«
»Ja, und Wedderkopp, Gustav Wedderkopp«, setzte Editha
Weitere Kostenlose Bücher