Die Strudlhofstiege
dann: hier ist euer verlorener Sohn, will sagen Tochter – nein, nein, kommt gar nicht in Frage. Lieber gestorben, als ohne Schwindel gelebt. Tabak-Regie. Auch eine Romantik! Entsetzlicher Blödsinn.« Seine Reden begannen etwas verwunderlich zu werden … Nun, keine von den beiden Frauen sagte ein Wort. Vielleicht steckte ihnen dieser Monolog des Rittmeisters doch irgendein Licht auf. Er wirkte auf beide recht verschieden: Editha vereiste, Mimi taute und sah weitgeöffneten Auges auf Eulenfeld, was den Schluß zuläßt, daß sie auch ihr Gehör nicht verschlossen hielt. Jetzt aber tat der Rittmeister den entscheidenden, den glücklichen Griff; nämlich nach rückwärts in die Hüftentasche. Aus ihr stieg die flache Flasche, ganz in Silber, wie ein Zigaretten-Etui. Er nahm den Schluck mit Sorgfalt und versenkte den hübschen Gegenstand wieder an seinen Ort. Dann erst kam die wirkliche Zigarettendose zum Vorschein. Und nun, nach profundem Grunzen:
»Ein Jammer ist's zu nennen, daß man über derlei reden muß. Dazu warst du also in Paris oder Buenos Aires, daß du dir derart spießerische, kleinbürgerliche, läppische und abgeschmackte Abenteuer ausdenkst. Zigaretten nach Deutschland schwindeln. Eulen nach Athen. Das ganze Zeug ist doch lang nicht mehr wie einst. Kauft euch Manoli. Ja, ja, das sind diese furchtbaren, dummen Weibersachen. Zu zweit eine einzige Person spielen. In Salzburg rührselige Szenen an der Zoll barriere. Und hier in Wien auf andere Art im Grund das Gleiche. Für nichts und wieder nichts, kein Mensch kann einsehen wozu. So möchte sie sich an der Welt rächen für alles, was ihr vorbei gelungen ist(?!). Denkt sich einen ausgesucht dummen Zehn-Pfennig-Roman aus, aber nur einen halben. Heroine für Wedderkopp! Die andere Hälfte soll der Melzer fressen. Wird aber nicht. Ihr kennt einen alten Husaren schlecht.«
Edithas Geduld schien soweit aufgezehrt, daß sie keinen eigentlichen Ausfall mehr tat, sondern nur kurz und schnell fragte: »Wie meinst du das?«
Es kam diese Äußerung etwa wie das rasche Pfauchen eines Ventiles hervor.
»Klar, wie ich das meine«, replizierte Eulenfeld. »An Melzer wird nicht herumgeklimpert. Ihr werdet seine Gutartigkeit und Ahnungslosigkeit nicht ausnützen. Der Mann ist Beamter. Vielleicht merkt er nicht gleich, was hier gespielt wird, will euch sogar gefällig sein und bringt sich unversehens in irgendeinen wie immer gearteten Zusammenhang mit euren Dummheiten. Nu, dann langt's ihm aber bereits, wenn die Sache auffliegt. Und sie wird auffliegen. Schon deshalb, Editha, weil aus dem, was du so zusammen brabbelst, deine Unwissenheit und Ungründlichkeit zur Genüge hervorgehen.«
»Warum sagst du ›ihr‹?« ließ Mimi sich jetzt vernehmen. »Ich will ja gar nicht.«
Er hob den Blick, sah sie an. Als wären die Scheiben und Scherben des Glashauses, darin sie gesessen hatte, nur von Eis gewesen und als tauten deren scharfe Splitterbrüche jetzt rundlich weg, so aufgelöst und wie durchfeuchtet erschien ihr Gesicht. Jetzt, kein Zweifel: sie weinte. Als wehrte er ab, was er sah, wandte Eulenfeld sich zu Editha:
»Ich möchte keinen Zweifel lassen, daß ich Melzer darüber aufzuklären gedenke, was man den ganzen Sommer hindurch schon mit ihm spielt und was man für hahnebüchene Dummheiten vorhat. Der wird lachen! Und ich werde das tun, wenn ich ernstlich bemerke, daß du, Edithchen, ihm an die Pelle willst, was meiner diesbezüglichen Aufmerksamkeit kaum entgehen dürfte. Hört doch endlich auf mit dem ganzen Blödsinn, tretet zu zweit hervor, wie eure p. t. Erzeuger euch nun mal, fast möchte ich sagen, leider, in die Welt gesetzt haben …« »Du wirst Melzer nichts sagen!« schrie Mimi plötzlich auf. Jetzt war's von ihm aus nicht mehr abzuwehren, nun mußt' er ihr sich zuwenden.
Die Dilettantin in Schlechtigkeiten aber, Editha, gewann hierdurch Zeit, eine von jenen, die sie sich ausgedacht hatte – zur Rache an diesem Leben, in welchem eine Jugend keine Jugend gewesen war – eine von diesen Schlechtigkeiten, die das verlorene Gleichgewicht wieder herstellen und den Vorsprung der Jahre mit einem Sprunge einholen sollten, hin und her zu wenden und zu betrachten, wie man das mit dem Ringe am Finger macht. Eulenfelds Strafkarte war ihr zu München bekannt geworden. Es gibt wohl eine formelle Tilgung von Strafen. Aber wer danach strebt, Genaues zu erfahren, der kommt auch hinter diesen Papierschirm, sofern er nur ein paar Verbindungen hat und sie benutzt.
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