Die Strudlhofstiege
spätsommerlichen Himmel.
»Natürlich habe ich den Major Melzer wiedergesehen«, sagte sie, »aber …«
»Aber?!« rief Editha.
In der Pause mochte Mimi endgültig erkannt haben, daß ihr nichts blieb, als gleichsam die leeren Handflächen vorzuzeigen. »Wir haben nie mehr davon gesprochen. Ich hätte erwartet, daß er jene Angelegenheit einmal mir gegenüber wieder erwähnen würde, da ich ihn denn um eine Auskunft ersucht hatte. Aber er ist nicht mehr darauf zurückgekommen. Und ich, für mein Teil, wollte davon nicht beginnen.« »Sehr nett von dir. Und das ist alles?« »Ja«, sagte Mimi. Plötzlich saß beim Rittmeister das Monokel.
Es war buchstäblich in's Auge geworfen worden, die Sache klappte, wie ein preußischer Gewehrgriff. Zugleich schien er unversehens von jenem Stechschlüssel Gebrauch gemacht zu haben, der den wenig erfreulichen Tresor einer Muttersprache aufschloß, die keine mehr war, weil Mütter ihrem Wesen nach nicht orthographisch sind; sonst wären sie alte Jungfern geworden, auf jeden Fall aber unfruchtbar geblieben. »Möchtest du, Edithchen, mir einmal sagen, was du eigentlich von Melzer willst?«
»Blöde Frage!« rief sie. »Genau das Gegenteil von dem, was Mimi von ihm wollte. Bei ihr arten alle sachlichen Zusammenhänge in Liebesgeschichten aus, und im Grunde war's vor vier Jahren mit euren lächerlichen Kaffeegeschäften, die du in Buenos anfangen wolltest, auch nicht anders.«
»Besser als umgekehrt«, entgegnete der Rittmeister gelassen. »Erst Weddeklops, dann Virginier. Aber meine Frage hast du nicht beantwortet.«
»Weil sie saudumm ist. Was ist denn hier überhaupt dabei? Du wirst mich doch nicht für blöd genug halten, um im Ernst zu glauben, eine österreichische Behörde oder gar die Generaldirektion der Tabak-Regie hätte sachlich was dagegen, wenn hiesige Zigaretten exportiert werden? Selbstverständlich schützt sich doch nur das Importland, genau so wie wir keine deutschen Zigarren hereinlassen! Aber nicht umgekehrt. Das wär' ja gegen den gesunden Menschenverstand. Die österreichische Regie hat in München ein eigenes Werk, jedoch das Zeug muß draußen natürlich viel teurer verkauft werden, außerdem bilden sich die Leut' ein, es sei eben doch nicht dasselbe, nicht Original, was weiß denn ich. Die Regie beschickt aber zum Beispiel Mustermessen in Deutschland, in Frankfurt, Leipzig, und ich glaube das geschieht auch von hier aus, denn in München werden nicht alle Sorten hergestellt. Auch die diplomatische Vertretung in Berlin kann Zigaretten haben, hat mir einer einmal gesagt, ob's wahr ist, weiß ich nicht. Diese Sachen müssen doch irgendwie hinausgehen, sollt' ich meinen, entweder durch die Post oder Bahn, mit einer entsprechenden amtlichen Deklaration oder sonst einem Begleitformular, oder es fährt eben irgendein Angestellter, denk' ich mir, der so einen Wisch hat, den deutschen Zollbehörden gegenüber; der kann dann kistenweise mitnehmen; soviel als eben ausgewiesen ist, soviel darf über die Grenze, ob auf die eine oder irgendeine andere Art, das ist mir nicht bekannt. Sicher aber kommt's dabei auf ein paar tausend Stück mehr oder weniger kaum an, die man da hineinschreibt, oder mitschickt oder mitgibt oder sonstwie, noch dazu, wenn sie ordnungsgemäß bezahlt werden. Diese Einzelheiten möcht' ich von deinem Melzer wissen. Der kann mir doch dabei an die Hand gehen. Könnte längst alles erledigt sein.«
»An die Hand gehen …«, wiederholte der Rittmeister. »Du stellst dich, liebe Editha, mit Hilfe deines gesunden Menschenverstandes dümmer als du bist und produzierst ein hahnebüchenes Gerede, das die Dinge als harmlos erscheinen lassen möchte. Indessen bist du, sollt' ich meinen – weil du denn diese Redewendung beliebst – doch in deinem Leben schon etliche Male über zwischenstaatliche Grenzen gekommen, und dabei wird dir wohl, insbesondere bei so gerichteter Aufmerksamkeit, nicht entgangen sein, daß die diesbezüglichen Behörden beider Seiten gewissermaßen auch reziprok arbeiten und einander in die Hände, wie gute Kollegen; was bei der Doppelseitigkeit der ganzen Angelegenheit und der darauf bezüglichen Abkommen und Bestimmungen verständlich erscheint. Außerdem exportiert die österreichische Tabak-Regie selbst; ihre Erzeugnisse liegen derzeit nicht unerheblich unter dem Weltmarktpreis; solltest sehen, wie der Mimi hier ihre Nil-Zigaretten bald knapp würden, wenn man da die ›Rauch-Sorten‹, wie's bei euch genannt wird,
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