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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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und hier alles schäbig oder zu kleinlich finden würde. Das träfe auch durchaus nicht zu. Natürlich sind wir drüben reicher, seit dem Kriege erst recht. Das läßt sich gar nicht vergleichen, nun, du weißt es ja, Editha. Aber sonst wieder ist vieles in Wien eben einzigartig, und wäre drüben kaum nachzuahmen …«
    Sie schien den Faden verloren zu haben und ihn jetzt zu suchen. Dabei kehrte ihr eigentümlich klagender Ton wieder. Im Zimmer dämmerte es merklich. Mimi sang sozusagen wie eine eingesperrte Nachtigall, von denen es ja heißt, daß ihr Wohllaut besonders ergreifend sei.
    »Aber der Boden war fest. Nicht jedes Mal am Abend drückte schon wieder irgendein kleinerer oder größerer Nervenschrecken im voraus auf den nächsten Tag, bestand da irgend so ein zweifelhaftes Programm mit vertauschten Rollen, war dieses im Grunde immer gleiche Abhaspeln von ein paar Tricks zu erwarten, auf die freilich jeder hereinfallen mußte. War da schon ein Verdienst und Erfolg dabei? Nein, es war öde. Jetzt durfte ich Enrique immer genau sagen, wo ich hingehe. Und ich trachtete ihn auch außer Hause, wenn ich schon einmal allein in der Stadt ging, was sehr selten vorkam, doch bald irgendwo wieder zu treffen. Eines Morgens, im Bette liegend, da war ich schon zwei Jahre drüben, wurde es mir erst voll be wußt, daß ich nichts zu verheimlichen habe. Gar nichts. Vor niemand. Du vermagst es kaum dir vorzustellen, was dies für mich bedeutet hat. Ich war wie neugeboren. Ich fühlte mich wie geschliffen und durchsichtig, wie aus Bergkristall.«
    Sie wurde von ihren beiden Zuhörern begriffen, kein Zweifel. Wer schweigt, stimmt zu, pflegten die Römer zu sagen (und sicher wußte der Rittmeister dieses Sprüchel auch lateinisch). Aber es stimmt nicht. (Heutzutage schon gar nicht.) Man sagte vielleicht besser: wer schweigt, scheint verstanden zu haben. Wer rasch widerspricht, hat sich vor allem einmal gerade dagegen gewehrt. Editha wehrte sich nicht. Aber dem Bergkristall konnte sie nicht zustimmen. Er war gnadenlos. Er wäre eine undurchdringliche spiegelnde Wand gewesen und Mimi dahinter wie in Glas eingegossen. Im Glashause. Aber eben dieses war ja zerschlagen worden. Sie hatte sie herüber gebracht, die Geliebte, sie hatte sie herübergezogen über das Meer, sie war hier. Das war nicht zu leugnen, daran war nichts zu ändern. Mochte sie nun singen wie eine gefangene Nachtigall! Die Pastré'sche Erbschaft mußte geordnet werden! Das erwartete Enrique mit Sicherheit, ja unbedingt; und an diesem festen Haken, der hielt, war Edithas Plan, die Schwester herüberzubringen, von Anfang an sicher und einwandfrei aufgehängt worden. Auch moralisch überzeugend und einwandfrei. Und an jenem Haken hing alles heute noch, an ihm hing Mimi fest. Diese Sicherheit erhöhte die Reiz-Schwelle von Edithas Empfindlichkeit ganz bedeutend, oder sie minderte die Pastré'sche Schärfe herab. So konnte man schon was vertragen, man hielt schon was aus, mochten da auch rote Nadeln im Herzen nähen. Süß feilender Gesang! Mochte sie singen! Man ließ sie singen.
    »Deine Briefe, Editha, die du mir geschrieben hast«, so setzte die Klarinette jetzt wieder ein, »viele Briefe, lieb und brav und gut, sie liefen wie ein Band neben mir, wie ein neben mir gelegter Boden, auf dem ich nicht mehr stehen mußte. Wie hat mich das glücklich gemacht! Denn ich sah ja, daß er ganz der gleiche geblieben war, auch ohne mich, auch ohne vertauschte Rollen, auch ohne Trick-Romantik. Ich sah, was dich beschäftigte. Es war von einer Art, die es in meinem Leben jetzt nicht mehr gab. Ich erblickte es neben mir, von Brief zu Brief, aber ich mußte darauf nicht mehr treten, nicht mehr daraufstehen. Du hast mir sehr geholfen, Editha, mein Glück zu ermessen. Daß Otto dreizehn Jahre später in irgendeiner Weise doch als dein Gesandter auftauchte – denn ich kannte ihn ja aus deinen Briefen – das vermochte zwar nichts zu verhindern, aber es war auch gleich der Keim für das Ende zwischen ihm und mir. Dies und nichts anderes. Und ich habe das merkwürdigerweise am Anfang schon gewußt. Ich werde Otto immer dankbar bleiben dafür, daß er die Untreue von Enrique mich gleichsam gar nicht hat erleben lassen. Es war wie eine Operation in Narkose, und wirklich ist dann alles gut geheilt …«
    (»Narkose, hm«, brummte der Rittmeister. Das Etui mit Schraubverschluß wurde wieder sichtbar.)
    »Und nun sitze ich hier. Und mitten darinnen. Nach diesem Sommer. Nach einem solchen

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