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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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deinen Freund dort in Deutschland sei die ganze Sache mit den Zigaretten geschäftlich nur eine Bagatelle, es handle sich ihm dabei viel mehr um Gefälligkeiten, die er dem oder jenem erweisen wolle. Ich glaube das nicht. Ich glaube, hier geht es um's Geschäft. Und warum bist du so dahinter her? Weiß dieser Herr Wedderkopp wirklich nicht, daß du dich in dieser Richtung hier bemühst? du sprichst so, als ob er das gar nicht würde wollen, gar nicht wissen dürfte oder sollte. Ich verstehe nicht, warum du so sehr mit solchen Angelegenheiten dich befaßt?! du bist doch reich. Die Alten haben dich, wie du sagst, finanziell ganz unabhängig gestellt – daß du's bei ihnen erreicht hast, ist übrigens eine großartige Leistung: ich meine damit die Art, wie du ihnen die Ersparnis an der Erbsteuer plausibel machen konntest. Ich erinnere mich heute noch, wie ich mich 1921 freute, als du es schriebst. Auch Otto hat dann davon erzählt. Du hast mir in Paris deine Konten gezeigt und erläutert. Wozu brauchst du noch Geld? War um diese komplizierten Unternehmungen auf dem Rücken des armen Melzer sozusagen? Da steckt doch nur Geld dahinter und wieder Geld. Wenn er dir ein paar Kisten irgendwie deklarieren und mitschicken soll, oder wie du dir das schon vorstellst: das ist doch keine reine Bagatelle, das macht doch immerhin schon was aus?«
    Hier aber, im Schein des elektrischen Lichtes – er war zwar nicht grell, er kam gedämpft vom Teetisch – wurde nunmehr die Editha Pastré'sche Reizschwelle verhältnismäßig rasch überschritten, die Pastré'sche Schärfe aus der Latenz gebracht und zur Erscheinung gerufen, nach aller Langmut und Geduld: nun drang sie durch an die Oberfläche, welche doch nur dünn und freundlich gewesen war wie ein Tortenguß. Und so wurde der Faden des Gesanges, den Mimi, ganz wie der Raum hier ins einzelne und nächste zerfallend, schon beinahe verloren hatte, seit das künstliche Licht eingeschaltet war, nunmehr von Editha gänzlich durchschnitten.
    »Bist du vielleicht nicht reich?!« sagte sie. »Ich sollte meinen, du seist etwas reicher als ich! Und doch bist du aus gar keinem anderen Grunde hier in Wien als der materiellen Interessen wegen. Aber die deinen sind ausgiebiger als die meinen, und wären diese letzteren für mich gar so wichtig und allein entscheidend, wahrhaftig, du säßest nicht hier, Mimi, und ich hätte mich wahrlich nicht bemüht, dich hierher zu bekommen! Sehr im Gegenteil!«
    Diese seltsam wilde Verdrehung aber, welche Mimi durch ihr letztes, irgendwie entgleistes, beiläufiges und auch nicht recht logisches Gerede gegen sich zum Losbrechen gebracht hatte, genügte jetzt, um bei ihr eine völlige Panik zu erzeugen. »Ich will fort!« rief sie, sich gerade aufrichtend und die Hände an den Schläfen. »Ich will reisen. Ich will fahren. Morgen.« Sie blieb starr in ihrer Haltung, als habe ein ungeheurer Schrecken sie gepackt. Editha sagte nichts und bewegte sich nicht. In ihren grauen Augen saß die Sammlung eines Schützen, der zielt.
    »Ja«, sagte sie endlich. »Du wirst reisen. Du sollst reisen. Zurück. Wieder hinter und unter den Horizont. In's Sanatorium. Es ist nicht vergangen und zergangen derweil. Es erwartet dich.« (Jetzt war der Schmerz in Edithas Stimme zu spüren, er wölbte die glatten, kalten Fliesen ihrer ruhig fließenden Rede etwas auf.) »Es erwartet dich verläßlich. Enrique erwartet dich. Aber nicht unverrichteter Dinge. Das ist wohl klar.«
    »Ich bin deine Gefangene«, sprach Mimi halblaut, die Hände noch immer an den Schläfen. »Wirklich, so ist es.« Nun, sie hatte keinen Degen, um ihn abzuschnallen und zu übergeben. Es wäre noch eindrucksvoller gewesen.
    »Süße Gefangene!« rief Editha, sprang auf und lief zu ihr hinüber. »Herzigste und geliebteste aller Gefangenen! Ja, ich habe dich. Es ist mir gelungen, du mußt dich drein ergeben.« Sie kniete vor ihr auf dem Teppich. Der Rest war das Schweigen langer Umarmung; es schluckte den Raum tonlos in sich ein. Nach einer Weile erst hörte man den Rittmeister, wie er Verschlüsse schraubte, Deckel springen, ein Feuerzeug blitzen ließ, das Ritual der Reihe nach betätigend, secundum ordinem.

    Am Montag, dem 31. August, nachmittags im Gärtchen, erfuhr, wie schon berichtet worden ist, Paula Pichler alles, was sich seit Freitag mit Thea begeben hatte. Diese befand sich ab Sonntag, sechs Uhr dreißig abends – um halb sechs war Eulenfeld, der für einen Sprung bei Frau Schlinger drüben gewesen,

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