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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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oben, keine Funken des Ärgers aus ihm gestoben waren: was sonst bei seiner Natur unweigerlich gewesen wäre. Jedoch das vorher auf der Straße Erlebte schien ihn wie außerhalb seiner selbst gesetzt zu haben. Noch aber hielt er den Pfeil in der Hand, den er gar nicht hatte abschießen können. Und trat aus dem Haustor, eben als der Major Melzer von rechts her am Gehsteige entlang kam – solchermaßen unserem René einen Strich durch die sich jetzt regende innere Wahrnehmung ziehend, daß ein glatter Entschluß am Ende alle Widerhaarigkeiten ebenso glatt niederpressen müsse, und wie eine Straßenwalze den Schotter …
    »Waren Sie bei Fräulein Grete, Herr von Stangeler?«, fragte der Major wohlwollenden Tones. »Ja«, antwortete Stangeler, während sie miteinander weitergingen. In den ersten Sekunden war René das Gesicht Melzers in irgendeiner Weise zerklüftet erschienen und auf eine Art, wie er ihn eigentlich noch nie gesehen hatte. Jetzt gab sich das. Jetzt schien es so, als habe das eben vorhin nur an der Beleuchtung gelegen, durch das aus der Einfahrt des ›Stein-Hauses‹ fallende Licht einer großen, feierlich oben unter der gewölbten Decke schwebenden schmiedeeisernen Riesenlaterne, die besser in eine Aufbahrungshalle gepaßt hätte. »Ich hab' einen Spaziergang gemacht heute nachmittag«, sagte der Major, nachdem sie wenige Schritte nebeneinander getan hatten, »mit Frau Editha Schlinger und dem Herrn von Eulenfeld an der Lände entlang bis zur Nußdorfer Schleuse.« Stangeler fühlte in diesen Augenblicken etwas wie Dankbarkeit Melzer gegenüber. Die krasse und knüppeldicke Art, in welcher sich hier äußere Fakten darboten, schloß von vornherein gleichsam jede Möglichkeit aus, jetzt den nicht verwendeten Pfeil auf eine verkehrte Weise, in eine verkehrte Richtung zu entsenden …
    Denn Grete etwa von den gedoppelten Damen zu erzählen: dazu war jeder Antrieb, wenn er überhaupt vorhanden gewesen, in René außer Kraft gesetzt worden und gänzlich erstorben in den Augenblicken auf der Straße (vor dem HausmeisterTarock-Café) als jenes äußere Phänomen zum Vehikel seiner eigensten und innersten Angelegenheiten geworden, und der Grund – den er nun fest in sich zu fühlen glaubte – den Anlaß verschlungen gehabt hatte. Jetzt, während sie hier an die Ecke der Porzellangasse gelangten, kam Stangeler dahin, sich blitzartig zu fragen, was denn eigentlich er Grete hatte sagen wollen, was denn eigentlich er gesprochen hätte zu ihr, wäre die Gelegenheit günstiger gewesen? Und nun freilich mußt' er dahinter kommen: er hatt' es ihr ja gesagt; und, mehr als das: sie hatte ihn auch verstanden.
    Es gehörte, am Rande bemerkt, außerdem zu den ungewöhnlichen und, wenn man will, verdächtigen Eigenschaften dieses Paares, daß beide Teile einander gegenüber der Verschwiegenheit fähig blieben. Sie scheint ihnen gar nicht sehr schwer gefallen zu sein. »Steigen Sie in die Tram?« fragte Melzer.
    »Ich weiß nicht …« antwortete René nach einem verdutzten Zögern. »Ich werde vielleicht weitergehen. Hier hinauf …« Er wies beiläufig in die Richtung, wo dahinten die Strudlhofstiege lag.
    »Wenn Sie nichts vorhaben sollten heute abend, Herr von Stangeler«, sagte der Major, »dann darf ich Sie vielleicht zu einem bescheidenen Abendessen bitten? Ich hab' alles daheim, was wir brauchen.«
    »Freilich, gerne«, sagte René, »auf mich wartet niemand.« Er lief erinnernd rasch durch das Profil dieses Nachmittages, der ihm jetzt gedrängt voll erschien: Paula. Dann Editha. Der Sprung zu Grete. Er empfand plötzlich die Treue (die man ihm doch wahrlich nicht wird nachsagen können) sehr heftig, wie ein neues Gefühl. Nun Melzer. Das war noch wie eine überraschende Schluß-Verzierung am Federzuge der Zeit, wie sie ihn seit mittags beschrieb.

    René willigte gerne ein, nach dem Essen türkischen Kaffee statt Tee zu trinken. So lagen sie denn auf dem Bärenfell.
    Stangeler mußte die elektrische Kerze auffallen, welche kaum einen Fuß hoch über dem Boden angebracht war. »Zum Lesen«, sagte Melzer. René war von so etwas natürlich (naturgemäß) begeistert.
    Dabei wäre nun (nicht für René) zu beobachten gewesen, daß Melzer diesem neuen Mitbewohner seines Heimes – nämlich der Kerze – gegenüber zwiespältig eingestellt war. An der Oberfläche, der inneren Oberfläche, könnt' er das Ding leicht und günstig placieren: eine Einrichtung, die er sich für seine besondere Bequemlichkeit lange

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