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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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gezogen, welche mühelos und klar ablief, alles an seinen Platz stellte, und auch das für René nicht eben Angenehme oder Schmeichelhafte lustvoll erhellte, durch den Strahl der Wahrhaftigkeit allein, welcher jetzt darauf fiel. Das war's, was ihn erfüllte und was er genoß. Und eben darum kollerte keineswegs der ganze Laden auf den Major zu (den Rittmeister zitiert man immer gern), sondern René blieb bequem zurückgelehnt darin sitzen und sah genau alles einzelne, übrigens auch einen aus Zürich erst heute nachmittag eingelangten Artikel, der, weil neu und blitzblank, ein wenig vorblinkte. Aber seltsamerweise blieb dabei ganz evident, daß jemand, den es doppelt gab, eine wirkliche Mitteilung gar nicht machen, eine wirkliche Nachricht gar nicht bringen könne, und das mangels eigener Wirklichkeit. Aus der neu eingelangten Zürcher Sendung war so in kürzester Zeit ein zu nichts mehr brauchbarer alter Ladenhüter geworden (sie waren eben doch ›olle Kamellen‹, wie der Rittmeister sie genannt hatte, diese Memoiren aus dem Mittelalter!), den man nur beiseite schieben konnte, immer mehr und bis er schließlich unter den Horizont fiel.
    Er antwortete endlich, langsam, bequem, und sparsam mit den Worten, welchen er sozusagen noch prüfend auf den Rücken sah (wegen irgendwelcher Konterbande?) während sie hinausgingen: »Physisch natürlich keineswegs. Jedoch, daß der genannte Apparat nicht selbsttätig ist, sondern von anderswoher Strom braucht, war mir vordem nicht bekannt. Und ist mir auch heute noch immer nicht genügend bekannt. Keineswegs alle Zellen haben es noch erfahren. Bei niemandem.« Er schwieg. Melzer fühlte sich kraß abgewiesen. Statt die Decke der Redseligkeit des anderen einhüllend über die Ohren ziehen zu können, hatte dieser ihm gleichsam irgendeinen kalten Gegenstand oben zwischen Hals und Kragen hineinpraktiziert, der jetzt langsam über die Brust herunter rutschte, unbehaglich und fremd. Er dachte ziemlich klar, daß er nicht von Grete Siebenschein hätte beginnen dürfen, um Stangeler in Schwung zu bringen, sondern daß es besser gewesen wäre, irgendetwas Literarisches daherzubringen. Aber so etwas wußte er nicht.
    Jedoch plötzlich schmolzen ihm Stangelers Worte gleichsam auf der Brust: das Kalte zerfloß warm, nun paßte es sich seinen eigenen Formen an und – ganz auf seine Art freilich – verstand er's. Die Verbindung zu ihm selbst war hergestellt, und er antwortete, wieder fragend, schon als ein durchaus Beteiligter: »Sie sind doch mit Fräulein Grete schon sehr lange verbunden?« »Vier Jahre«, sagte René.
    »Und – verzeihen Sie, wenn ich so frage, aber ich tu's gewissermaßen in eigener Sache (da hat man ihn, den Melzer! So was wäre wem anderen kaum eingefallen: den veränderten Standort sogleich ordnungsgemäß zu melden!) – und während der ganzen Zeit waren Sie immer durchaus einverstanden mit dieser Verbindung? Ich meine: Sie haben diese immer als das Richtige für Sie selbst angesehen? Soviel ich weiß – war doch das bei Ihnen nicht immer der Fall?«
    »Erst seit heute nachmittag«, sagte René im Tone einer Mitteilung alltäglichster Art.
    »Waren Sie den ganzen Nachmittag bei Fräulein Grete oben?« fragte Melzer, ganz als könne ihm eine bejahende Auskunft Renés dessen unverständliche letzte Antwort begreiflich machen. »Nur fünf Minuten«, sagte Stangeler.
    An dieser Stelle riß das Gespräch ab, was man verständlich finden wird. Neue Tschibuks. Neuer Kaffee. Sie lagen auf dem Rücken.
    Aber Melzer lag da auf seinem Bärenfell nicht nur in einer bequemen Mulde, sondern eigentlich schon in einer Grube, die er selbst gegraben hatte. Und jetzt wühlte er sich, dem Stangeler widersprechend, noch tiefer hinein:
    »Verzeihen Sie«, sagte er, »ich kann eigentlich nicht glauben, daß es in einem Liebesverhältnis, wenn ich mich so ausdrücken darf, irgendwelche Umstürze oder grundlegende Veränderungen geben könne … sozusagen vorsätzlich herbeigeführt. Es bleibt doch immer alles beim alten. Weil die Bedingungen gleich bleiben. Und nur die äußeren kann man ändern, wenn das überhaupt möglich ist. Meistens ist es ja unmöglich. Ich glaube, hier gibt es eine einzige Ausnahme.« »Welche?« fragte René, ohne sich zu rühren.
    »Wenn man heiratet«, sagte Melzer. »Denn da hört das Liebesverhältnis auf, nur ein solches zu sein. Da wird ein fester Punkt gesetzt, kommt mir vor.«
    »Halten Sie das für so entscheidend?«
    »Ja«, sagte der Major. Er

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