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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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bis dahin im Rücken des Brunnens Rauschen noch zu hören. Paula hatte den Lavendelduft sogleich angenehm vermerkt, mit hochgezogener Nase, die dabei an der Wurzel viele possierliche feine Fältchen bildete.
    Nun, nachdem Paula Pichler und er sich wieder getrennt hatten, stieß er von diesem Borde ab wie zu einer weiten Fahrt in ferne Häfen. Sein Daseinsgefühl war in der Tat jetzt das eines Abreisenden, auf den schon der lange, schwingende Wagen des Schnellzuges wartet. Ja, wirklich so, als verließe er jetzt die Stadt und alles überhaupt, was mit ihm zusammenhing, um hoch und taumelnd und losgerissen darüber zu treiben. Daheim, vor dem Weggehen, hatte er indessen noch jenes Medaillon genommen, das Editha ihm einstmals geschenkt. In der Gondel war das Ding wohl eigentlich kaum mehr am Platze (weil des Gewesenen es gemahnte); jedoch, da er's beim letzten Male getragen, sollte sie es auch diesmal nicht missen. So, bei schon geschlossenem Hemd und zugezogener Krawatte, nahm er das goldene Kettchen über den Kopf, steckte den Anhänger durch den Kragen und ließ, so gut es gehen mochte, das dünne lange Kettlein nachgleiten.
    Paula war nach links abgegangen. Sie winkte noch einmal, trat um die Ecke.
    Er schaute über den vielbefahrenen Platz vor dem Bahnhof wie ein Schwimmer über das offene Wasser, bevor er abstößt. Jetzt, in diese leeren Augenblicke, fiel ein, was fällig war. Welche von den beiden gedoppelten Damen würde ihn nun erwarten? Welche war – auf dem Bahnhof – die Frau Editha Schlinger gewesen?
    Die Ankommende oder die Abholende?
    Die Abholende wohl.
    Warum? Hier war kein Unterschied. Welche war – welche? Er lächelte plötzlich kurz und warf sich umsichtig in das Bassin eines (freilich nur für die Verhältnisse dieser Stadt hier) starken Verkehrs. Nun, drüben gleichsam wieder auftauchend, hatte er kaum drei Gassen mehr zu durchschreiten. Auch diese Stiegen und Treppen hier lagen still und leer, hauchten des Hauses geheimste Befangenheit.
    Ihre Schritte kamen – »Da bist du!«, rief sie, »ich freu' mich so sehr.« Er fand's selbstverständlich, daß sie ihn nun gleich duzte (wirklich hätten wir jetzt beinah wieder à la Geyrenhoff ›ab ovo‹ geschrieben. Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten).
    Es ist die Gleiche also, dacht' er. Nun, stichhaltig ist's aber nicht …
Er fand keine Zeit, und das bißchen innerer Raum fehlte jetzt, um Überlegungen auszubreiten. René befand sich in der Lage eines, der was hinschreiben soll, dem aber die Schreibunterlage fehlt. Sie drängte ihn zum Teetisch. Sie schenkte ein. Sie wollte wissen, was er treibe, was er arbeite. Sie erzählte zwischendurch, daß sie schon neulich ihn habe fragen wollen, wann er jenen Aufsatz über mittelalterliche Memoiren geschrieben hätte, er wisse doch, was sie meine, ja? Sie habe gar nicht gewußt, daß es aus dem Mittelalter Memoiren gebe, dieses Wort schmecke so nach achtzehntem Jahrhundert; ja, also darauf sei sie in Genf gekommen, weil einer ihrer Freunde, ein Herr aus Zürich, in der dortigen Zeitung diese Arbeit gelesen und davon sehr lobend gesprochen habe, etwa: ›eine ganz reife profunde Arbeit‹. Ja … plötzlich brach sie ab, sprach nun langsamer und beinah klagenden Tons: »Es ist wohl kaum zu er messen, wieviel Studium und Kenntnis oft von Nöten ist, um ein Kleinstes nur solcher Art mit Glück zu vollbringen.« Ihm genügte das. Nun wüßt' er alles. Aus der Sprache allein nahm er die ganze Kenntnis des Falles: bei aller seiner sonstigen Unfähigkeit zu rascher Kombination. Aber die Sprache Mimi's, welche Editha, sich besinnend, jetzt wieder aufgenommen hatte: sie eben setzte das Original rückwirkend durch Frühling und Sommer hinaus aus einem stehenden Zusammenhange, einer stehenden Erscheinung von früher, welche Editha Schlinger hieß, Editha Pastré geheißen hatte. Er, René, aber war zuletzt mit der – anderen gewesen. Mit dieser hier jedoch: unten am Fuße des Felsens, welchen Asta und Melzer erstiegen hatten, vor vierzehn Jahren.
    Sie beugte sich plötzlich ganz nahe zu ihm und griff an seinen Hals.
    »Was ist das für ein goldnes Kettchen, das dir über den Kragen hängt? Trägst du etwa gar ein Lorgnon?!«
    »Nein«, sagte René.
    Er entschlang ohne weiters die Krawatte, öffnete das Hemd, hielt ihr den Anhänger hin. »Bitte öffne«, sagte er. Aber sie erkannte das Ding auch so, wie es war.
    »Nein!« rief sie, »wie herzig! Das ist zu lieb, daß du dies noch hast, René!« Nun saß sie auf

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