Die Strudlhofstiege
gewünscht, ein schönes und praktisches Geschenk, das er von lieben Freunden erhalten hatte, eine nicht geringzuschätzende, feine Aufmerksamkeit, würdig dessen, von dem sie ihm erwiesen worden war. Und Melzer hatte auch unverzüglich, am Tage nach seiner Rückkehr bei Herrn und Frau E. P. erscheinend, wirklich von Herzen und in geziemender Weise sich bedankt.
Unterhalb der inneren Oberfläche aber herrschte, was den neuen Beleuchtungskörper betraf, ein Zustand, dem ganz andere äußere Handlungen entsprochen hätten, etwa: einen Stuhl so neben den Kamin an die Wand zu stellen, daß die Kerze weniger sichtbar würde – ein paradoxes Bild, fast an das bekannte Licht unterm Scheffel gemahnend. Oder aber, um's kurz zu machen: den Wandarm mit irgend etwas zu verhüllen, mit einem Seidentuch etwa. Aber Melzer besaß nichts dergleichen. Und es hätte auch nicht ordentlich ausgesehen. Am Dienstag, in der inneren Stadt, war seine Aufmerksamkeit festgehalten worden vom Schaufenster eines Spielwarengeschäftes, welches ein entzückend schönes Puppenzimmer aufgebaut zeigte: darin gab es auch einen dreiteiligen Wandschirm oder Paravent. Die Höhe wäre passend gewesen. Das Ding, dort unten am Boden gleich neben dem Kamine aufgestellt, hätte jedoch weit absonderlicher noch gewirkt als der Wandarm selbst. Melzer hatte ein einziges Mal bisher an dem Kettchen gezogen: am Sonntag-Abend, vor dem Schlafengehen, um dieses Licht endlich zu löschen. Nun betätigte Stangeler entzückt den Apparat.
Und Melzer sah ihm dabei traurig zu.
René aber spürte das, wandte sich herum und erkannte nunmehr als unzweifelhaft, daß er sich vor dem Stein-Haus nicht getäuscht hatte, als ihm das Antlitz des Majors befremdlich verändert erschienen war.
Er versuchte sich zu sammeln, sozusagen alles zu umfassen, was er wußte, es gegeneinander zu halten, zu vergleichen (freilich fiel ihm dabei auch die Paula Pichler ein und was sie über Melzer und Thea gesagt hatte). Er nahm einen tiefen Zug aus dem Tschibuk und ein Schlückchen vom Mokka, und schon wollte das Vorgefühl der Wahrheit aus der raschen, aromatischen Benebelung sich erheben, als Melzer dem René neuerlich einen Strich durch kaum Gedachtes machte, diesmal indem er ihn ansprach (vielleicht um René von dem Wandarm abzulenken, damit er nicht mehr dorthin zurückkehre, vielleicht auch, um gleichsam das eigene Gesicht wieder zu bedek ken, dessen durch Augenblicke unbeherrschte Züge der Gast noch zu sehen bekommen hatte, bei seiner Wendung): »Schon lange, Herr von Stangeler«, sagte er, »wollt' ich Sie etwas fragen; aber betrachten Sie, bitte, meine Frage nicht als indiskret. Ist Fräulein Grete, wie man zu sagen pflegt, eigentlich Ihre erste Liebe, Ihr erstes derartiges Erlebnis?« René empfand deutlich die Taktik der Ablenkung, die der Major da bewußt oder unbewußt betrieb; er selbst sollte der Blitzableiter sein für ein Gewitter, das sich über Melzer zusammengezogen hatte. Und, mehr als das: Stangeler bekam es jetzt zu spüren, daß solch ein kurzes Erlebnis von der Art, wie er's vor einer Stunde auf der Straße gehabt hatte, nachwirkend noch Distanz verleiht, manchen Dunst niederschlägt, die Atmosphäre reinigt. Bei solcher nun klareren Sicht entging ihm diesmal auch die Möglichkeit nicht, daß der Major, um sich zu verdecken, um sich zurückziehen zu können, ein Mittel anwandte, von dem er vermeinen konnte, daß es die Quellen der Redseligkeit bei seinem Gaste würde springen machen. Es ist übrigens bekannt, daß jemand, der auch nur ein einziges Mal in Gesellschaft etwas mehr als gewöhnlich und lebhaft oder gar witzig, interessant oder anregend gesprochen hat, ab da auf die Forderung aller anderen stößt, es nun wieder zu tun und sie also zu unterhalten. Tut er's dann nicht, wird man ihn geradezu befragen: »Nun, Herr X. Sie sind aber heute still?!« Dem René ahnte, daß er am Montag vor acht Tagen, bei jenem lebhaften Auftritte am oberen Absatz der Strudlhofstiege, einen ähnlichen Mechanismus in den Major unfreiwillig eingebaut, der Setzung eines Gewohnheitsrechtes bereits Vorschub geleistet hatte. (Aus diesem einzigen und keinem anderen Grunde bleibt es ja immer eine Dummheit, in Gesellschaft etwas an deres als äußerste Langeweile darzubieten.) Ein solcher Verdacht, ein solches Gewarntsein, zunächst nur schwach sich regend, gleichsam am dampfigen Horizonte innerer Wahrnehmung noch, ward jedoch schon rasch in deren Mitte und in den Lichtkegel einer Überlegung
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