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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Badender in der Wanne; und wie man einem Kinde in diese gern sein schwimmendes Tiervolk mitgibt, seine Seehunde und Fische und Krebse und Krokodile aus Zelluloid, mit denen es dann spielt, weißen glatten Körpers im warmen Wasser sitzend: so war Editha im Bette gesessen und hatte das Spielzeug gleichsam auf der blauen Seidendecke gehabt, hier den Geyrenhoff stupsend, den Konietzki mit dem Marchetti zusammen setzend, den Grabmayr tauchend, den Semski wegschiebend, die Ingrid Schmeller einfach auf den Rücken werfend. Sie hatte kaum genug bekommen können davon. Und Stangeler störte es dabei wenig, daß sie immer wieder Pausen machte und das und jenes mitten heraus fragte – wann Grete gekommen und wie es beim Abholen von der Bahn gewesen sei, ob das Wiedersehen erfreulich oder eine Entfremdung zu bemerken gewesen wäre, seit wann Thea wieder hier sei und ob er sie schon gesehen habe – René störte das alles wenig. Er wußte bald plan, was sie von ihm wollte, erfahren wollte, und was sie besorgte. Dies war so offenklar, daß ihm die Harmlosigkeit leichtlich, ja wie aus dem Handgelenke geriet.
    Nun wandte er sich und löste sich von der Stelle. Das Bild der dunkelnden Straße mit ihrer ständigen Bewegung rundum trat nach Sekunden fast völliger Absenz nun wieder in ihn ein. Einen einzigen Weg gab es, der Pfeil flog voran: quer über den Platz. Zu Grete. Und sei es nur auf fünf Minuten.
    Er eilte so rasch durch das Stiegenhaus empor, daß die einzelnen Stockwerke wie langsam kreisende Karusselle unter ihm blieben, noch in drehender Bewegung, schon von ihm verlassen. Wie im Sattel, auf Skiern oder im Bett: der Leib des jungen Menschen, dieser fast vollkommene Knecht (vorzüglich jeder Dummheit), er meldet sich nie und muß doch das Ganze machen. Das Herz pumpt, der Thorax blasbalgt, der Schenkel preßt oder stemmt, die Kraft springt aus dem Zwinger. Ohne Atemkürze stand René am Gang vor der braunen Wohnungstür. Die Glocke schlug an. Aber schon die Schritte, die da kamen, schienen René nicht in's Konzept zu passen, gingen nicht ein und hinein in dieses. Verdammt, das war halt die (diesbezügliche) objektive Außenwelt, die sich immer nur für kürzeste Augenblicke in die andere (diesbezügliche) innere ganz hineinreißen läßt. Frau Doktor Siebenschein, welche hier ausnahmsweis öffnete (das Mädchen war wohl weggeschickt), sah auf den Gang heraus wie eine Ratte, die über eine Mauerkante äugt; wenigstens erschien sie dem aufgeprellten Herrn René unter einem so wenig liebenswürdigen Bilde. Die bewegliche kleine Dame war offenbar erstaunt, ihn zu sehen. »Grete ist sehr beschäftigt«, sagte sie, ohne zunächst den Weg freizugeben. Stangeler produzierte einige Scherben von Lächeln an der Oberfläche des Gesichts, man kann sagen, er lächelte un ter Scherben, statt unter Tränen. »Ich wollte sie nur einen Augenblick, sehen«, sagte er und konnte jetzt in das Vorzimmer treten, eben als von rückwärts der Doktor Ferry mit zwei Herren das gleiche tat, laut redend und lachend. Grete dahinter mit einer Mappe unter dem Arm. Sie trug einen weißen Arbeitsmantel, der sie übrigens vorzüglich kleidete. Nun waren also sechs Personen im Vorraume. Die zwei Herren verließen ihn allerdings schon. Der Doktor Siebenschein winkte René zu, verschwand wieder nach rückwärts und rief im Abgehen: »Gretl, komm' bald, wir müssen fertig werden.«Jetzt endlich begrüßten Grete und René einander, während der Mutter vorwurfsvoller Blick auf ihnen ruhte und zugleich auf dem Eingang rückwärts zur Kanzlei. Im übrigen wich die kleine Dame nicht von der Stelle. »Was gibt's, René?« sagte Grete, »ich bin grad recht sehr beschäftigt …«
    »Ich wollte dich nur einen Augenblick sehen …« antwortete er halblaut, durch die Anwesenheit der Mutter hinter ihm gleichsam gewürgt. »Ja, ist irgend was los –!?« fragte sie, warm und teilnehmend, ihre Augen traten etwas vor. »Nein, gar nichts«, sagte Stangeler. Er nahm ihre Hand, drückte sie stark unter dem Kusse und wandte sich alsbald zum Kratzfuße vor Gretes Mutter und zum Gehen. Als er die Tür öffnete, kam ihm Grete rasch nach. Schon hatte sie begriffen, daß er ohne jeden äußeren Anlaß hier heraufgekommen war, schon hatte sie die eigene Befangenheit verlassen und war im Begriffe, die seine einzuholen. Sie küßte ihn. Die Türe klappte. Als René langsam die Treppen hinunterging erstaunte er klar darüber, daß bei so plötzlicher Abbremsung, wie jetzt eben dort

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