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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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versagendes Gewehr weggeworfen, die Pistole herausgerissen und mit dieser auf kaum zehn Schritte einen starken Saubären erlegt hat. Der Major war förmlich der eigenen Pistolenkugel nach gesprungen, sofort weiterfeuernd. Die Treffer saßen, wie sich später zeigte, dreifach im Schädel des Ebers, mehrfach in der Lunge; alles war voll vom Blute, das Gebüsch, das Gras und Moos; die Strecke sehr ansehnlich, Melzer war ausgiebig zum Schusse gekommen (es mag übrigens sein, daß der Major ihn vor der Bärenjagd noch jagdlich erproben wollte – jedenfalls fiel's zur Zufriedenheit aus).
    An diese Jagd dachte Melzer jetzt, während sie abgestiegen waren, um zu rasten. Er war ein paar Schritte von den Pferden abseits gegangen, wo der steinige Grund teilweise unter Haselgebüsch verschwand. Die Szene, wie Laska den Eber niedergestreckt hatte, schob sich vor sein inneres Auge, das bellende Krachen der Pistole, der wilde Gesichtsausdruck des Majors im Vorspringen, das niederbrechende, sich wälzende Tier und das überall umhergespritzte Blut. Dieses Bild breitete sich in Melzer allmählich aus, wie sich eine Lache ausbreitet, es sandte Gerinnsel nach verschiedenen Seiten, es schien eine dumpfe unaussprechliche Verbindung zu suchen mit anderem, das verwandt aber verborgen war. Auf einer Steinplatte zwischen den Haselstauden zeigte sich schon die ganzen Minuten hindurch eine kleine, langsame, träge Bewegung; jetzt erst wurde sie von Melzer aufgefaßt und erkannt. Es war eine Haselnatter, ein kaum ellbogenlanges Schlänglein, das in Bosnien häufig ist. Melzer schaute in sich versunken den wurmhaften gleitenden Verschiebungen des kleinen Körpers zu; unter anderen Umständen hätte er vielleicht nach rückwärts sich gewandt und gesagt, »schau, Herr Major, da ist ein Haselwurm.« Aber dieser hier erschien ihm wie eine Bewegung seines eigenen Innern, wie geheimste Gedanken, die zu enthüllen unvorstellbar war.
    Jetzt bot ihm Laska von rückwärts Cognac und Schokolade an. Er löste sich gern aus dieser minuten- oder nur sekundenlangen Einsamkeit, die ihn mehr beschwerte als anzog. Am späteren Nachmittage, in einem schrägen Sonnenglanz, der es unmöglich machte, in die Ferne zu sehen, kamen sie zur Hütte. Es war eine Alm dabei, wie man in Bayern oder Österreich sagen würde; das Vieh noch auf der Sommerweide. Die Hirten, vom bevorstehenden Eintreffen der Offiziere verständigt, hatten einen Ochsen geschlagen, der großenteils als Köder für den Bären dienen sollte; die besten Stücke waren von ihnen auf landesübliche Weise vortrefflich gebraten worden für's Abendessen; und jetzt, gleich nach der Ankunft, erhob sich der stärkende Duft des Kaffees, von dem Laska ein großmütiges Quantum samt einem Kilogramm Zucker, einigen Schachteln Zigaretten und einer Flasche Sliwowitz unter die Hirten verteilte. »Wer schmiert, der fahrt«, sagte er beiläufig zu Melzer, »aber jetzt kriegen auch wir eine Jausen.« Und damit packte er feines türkisches Gebäck aus, Tolumba und Baklawa, sowie Kurawie, die Mürbe, Zarte, in handtellergroßen runden Scheiben.

    Vor Nacht wurde der mächtige Köder im Buchenwald des Nordhangs ausgelegt unter Mithilfe der Hirten und beider Offiziersburschen, junge Bosniaken, denen diese Expedition ein besonderes Vergnügen zu bereiten schien. Es war eine Schulter im Berg, ein an sich fast ebenes Gelände, das aber in der Mitte eine Art wannenförmige Vertiefung zeigte: hierher legten sie den Ochsen. Dann wählten Laska und Melzer sorgfältig ihren Ansitz am Rande der Senkung, prüften den Ausschuß von da und merkten sich die Stelle genau an mehreren Zeichen, ebenso bei der Rückkehr zur Hütte den Weg dahin, von welchem sie jetzt alles dürre und knackende Holz entfernten, auch da und dort Buschwerk und Äste weghieben, um bei ihrer nächtlichen Wiederkehr jedes Geräusch zu vermeiden. Die den Hirten genau bekannte Hauptrichtung des Nachtwinds hier am Nordhange der Treskavica lag günstig, vom Köder her dem Anmärsche entgegen. Nach alledem konnten Laska und Melzer sich in der Hütte ein paar Stunden auf 's Ohr legen. Als sie um ein Uhr allein und ohne Hund aufbrachen, war die mondlose Nacht nur vom funkelnden Gestirn erhellt. Der Atem wölkte leicht vor dem Munde, so kalt war es: Laska und Melzer staken dieserhalb in kurzen Pelzröcken. Das an die Dunkelheit gewöhnte Auge fand später im Wald unschwer bei langsamem und vorsichtigem Gehen den Weg. Dreihundert Schritt etwa vor Erreichen ihres Ansitzes

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