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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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niederlassen wollte, suchte den größtmöglichen Abstand von den bereits besetzten, worin allein schon die zurückgezogene und gewissermaßen meditative Haltung eines Wiener Caféhausgastes sich ausdrückt.
    »Haben der Herr Leutnant schon bestellt?« fragte der Ober, wenngleich sehr wohl wissend, daß Melzer eben eingetreten war; aber die Vermeidung einer Geradezu-Ansprache gehörte hier zu den zeremoniösen Voraussetzungen des Metiers.
    Melzer fühlte sich müde nach diesem Tage voll Bewegung, an welchem er morgens frühzeitlich aufgestanden war (und mit dem alten Allern gefrühstückt hatte). Zudem war sein Abendessen von zwei Krügeln Pilsner begleitet gewesen, schon im Hinblick auf die bevorstehende Nachtfahrt, um gut zu schlafen nämlich (aber auch das erscheint gewissermaßen pietätlos, denn sein wohltätiger Onkel war an der Dreherischen Actienbrauerei beteiligt).
    Es dämmerte. Auf dem Perron stand der Portier vom ›Belvedere‹ vor dem Agramer Wagen erster und zweiter Klasse, überreichte Melzern den Gepäckschein und teilte mit, daß ein guter Platz schon mit der Handtasche belegt sei, »nur ein zweiter Herr noch im Coupe, ein Herr Major«, fügte er hinzu. Es fehlten zwanzig Minuten noch bis zur Abfahrtszeit. Melzer stieg ein, der Portier öffnete vor ihm die Coupétür und der Leutnant sah im Zwielicht einen goldenen Kragen und salutierte.
    »Servus, Melzer«, sagte der Major.
    »Respekt, Herr Major«, erwiderte Melzer, ohne den Stabsoffizier noch zu erkennen, auch beim Nähertreten und Händeschütteln nicht; erst als jener das bisher auf matt gestellte Gaslicht eingeschaltet hatte, kam unserem Leutnant der Name wieder: es war ein Major Laska, Bataillonskommandant zu Banjaluka in Bosnien. »Kommst vom Urlaub, Melzer, was?« »Jawohl Herr Major.«
    »Du, paß auf, wir geben dem Kondukteur jeder einen Gulden, damit wir allein bleiben und schlafen können.« »Natürlich, Herr Major.«
    Melzer war von einem seltsamen Doppelgefühle beherrscht, und während er den Säbel abschnallte und in das untere, schmale Gepäcknetz über den Fauteuils legte, stand er innerlich sozusagen noch draußen auf dem Bahnsteig, auf jenem Bahnsteige, wo er einst auch nach Payerbach-Reichenau eingestiegen war, um auf die Villa Stangeler zu gelangen. Das lag sozusagen noch unerledigt draußen, es war ihm knapp vor dem Betreten des Waggons lebhaft zu Bewußtsein gekommen, beim Vorausblicken durch den offenen Mund der Halle. Er wollte jetzt unbedingt noch einmal auf den Perron hinaus. Eben rollte dort der fahrende Verkaufs-Stand mit Büchern und Zeitungen vorbei. Melzer entschuldigte sich für einen Augenblick.
    »Du, nimm ein Mineralwasser mit«, rief ihm Laska nach. Der Leutnant verließ den Waggon, hielt den Zeitungsverkäufer an, kaufte rasch fünf englische Kriminal-Romane (Auftrag von Trnowo her! – und das hatte er in der Stadt vergessen gehabt), sowie einige Zeitungen und Zeitschriften und endlich, als das Büfettwägelchen vorbeigerollt wurde, das Mineralwasser und Obst. Da stand er nun, den Kram im Arm, und schaute nach vorwärts aus der Halle. Von hier wird morgen nachmittags die ganze Bande abfahren, Grauermann und Marchetti, Semski und Grabmayr und der Edouard von Langl, Meister leichter Klaviermusik. Es roch sanft nach Eisenbahnrauch, genau so wie damals, und in Payerbach wird die frische Gebirgsluft beim Aussteigen zu spüren sein. Und dann werden sie im Landauer hinauffahren, und die Asta und die Etelka werden ihnen vielleicht schon auf der Serpentinenstraße, die zur Villa führt, begegnen.
    »Hast ein Mineralwasser, ja? das ist g'scheit«, sagte der Major, als Melzer das Coupé wiederum betreten hatte. Ein exquisiter Duft schlug ihm entgegen, und alsbald zog Laska ein langes Etui hervor und bot Melzer eine Kaiser-Virginia an. »Weißt'«, sagte er wohlgelaunt, »ich hab' mir vom Schneider einen Poysdorfer mitgenommen, ganz tiefgekühlt, da trinken wir jetzt ein Schluckerl. Hoffentlich ist das Mineralwasser auch kalt.« Er befühlte die Flaschen, schien befriedigt und brachte aus seiner Reisetasche ein gelbes Futteral zum Vorschein, das zwei kleine silberne, innen vergoldete Trinkbecher enthielt. »Darf ich fragen, kommen Herr Major auch vom Urlaub?« sagte Melzer, nachdem sie beim Klapptisch am Fenster sich niedergelassen hatten.
    »Nein. Ich war nur ein paar Tag' in Wien, als Kurier sozusagen, im Ministerium. Dort ist unter anderem eine Angelegenheit verhandelt worden, welche dich beiläufig interessieren

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