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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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wird.«
    »Ja, wie denn – übrigens hält dieser Zug da auch in Payerbach?«
    »Nein, ich glaub' nicht, der hier fahrt von Gloggnitz bis Semmering durch. Aber wie kommst' denn da drauf, willst' am End' aussteigen?«
    »Nein, es war nur neulich die Rede davon.«
    »In Payerbach hält der Grazer Schnellzug, da nebenan steht er, am nächsten Gleis.«
    »Ja«, sagte Melzer und sah hinüber, »der Grazer, der hält in Payerbach.«
    Plötzlich packte ihn der Schmerz. Mary sah ihn so fremdartig an. Er hatte sie doch niemals recht verstanden. Sie war etwas Besonderes, sie war einzig. Die Angst vor dem Unwiederbringlichen, vor dem wirklichen Verlust, preßte ihm die Brust und war wie ein Druck an seiner Kehle fühlbar.
    »Paß auf«, sagte Laska, während der Zug sich fast unmerklich in Bewegung setzte und aus der Halle hinauszugleiten begann, »ich bin jetzt Jagdreferent für Bosnien geworden; das heißt also: Dein Bär ist gesichert. Ich nehm' dich mit auf die Treskavica. Dein Alter muß dich die paar Tage loslassen, ich werd's ihm selbst sagen, ist ja ein gemütlicher Bursch, dein Hauptmann Ziesler. Prost, Servus!«
    Sie tranken einander zu.
    »Ich danke vielmals und gehorsamst, Herr Major«, sagte Melzer, »das ist ja großartig!«
    Ein plötzliches Wohlgefühl durchdrang ihn zugleich mit einem unklaren Staunen über die sehr wechselnden eigenen Zustände während dieses zur Neige gehenden heutigen Tages. Laska füllte die Becher neu und improvisierte mit einem schönen Baß:
Glücklich ist,
    wer vergißt,
    was nicht mehr
    zu ändern ist …

    »Prost!« schloß er. Melzer starrte ihn durch einen winzigen Augenblick geradezu maßlos verwundert an. Der Zug glitt weich stoßend durch die Dunkelheit, hielt zwei Minuten vor dem einsamen Meidlinger Perron. Die beiden Herren lehnten in ihren Polstern, das großartige heimische Gewächs rann köstlich durch die Kehle, der blaue Duft schwebte unter der Halbkugel des Deckenlichtes.
    Melzer fuhr jetzt geradezu leidenschaftlich gerne nach Bosnien hinunter. Aber nicht die Aussicht auf eine Bärenjagd – hatte er diese noch so sehr sich gewünscht – vermochte solchen Umschwung über ihn; sondern der Atmosphäre allein, welche sich da in diesem Coupé ausbreitete, schien eine mächtige Heilwirkung zu eignen, der auf die Dauer nichts in ihm widerstehen konnte. Hier nahm ihn etwas auf und stützte ihn kräftiglich. In den schmalen unteren Gepäcknetzen über den Fauteuils lag auf beiden Seiten der gleiche Säbel mit der gleichen schwarzen Kappe.
    Die Gegend von Baden passierend, waren sie im Gespräche längst zu den letzten Einzelheiten ihres jagdlichen Vorhabens gelangt; Laska, ein alter Bosniake, besaß hier gründliche Kenntnisse. Als eine gute Stunde später schon die Perrons von Payerbach vorüberflogen, bemerkte es Melzer erst hintennach, während der Zug über den großen Viadukt fuhr. Sie hatten sich zum Schlafen ausgestreckt und die luftgefüllten Gummikissen unter die Köpfe geschoben. Das hohle, zie hende Sausen in den Semmering-Tunnels drang angenehm in den umfangenden Schlummer und darin gleichsam eingehüllt gab es für Melzern noch ein Angenehmes: das war sein fester Vorsatz, den nächsten Urlaub in Wien und zum Teil auch im Rax- und Semmering-Gebiet zu verbringen. Und was sollte dem entgegenstehen?

    Vier Wochen später ritten Laska und Melzer den steinigen Weg zur St. Katherinen-Hütte auf der Treskavica bergan: bei wirklich unendlicher Himmelsbläue über kahlen und bewaldeten Höhen; die Treskavica selbst ist beides zugleich in ihrem unteren Teile: am Nordhang gibt es tiefen Buchenwald, der Südhang bietet Mattenboden; so hat der ganze Berg etwas von einem Greis mit mächtigem Bart, aber kahlem Schädel an sich.
    Es war schon die zweite jagdliche Unternehmung, zu welcher die beiden Offiziere seit ihrer Rückkehr von Wien gemeinsam auszogen. Vor vierzehn Tagen hatte Laska den Leutnant zur Wildschweinjagd mitgenommen in die Sierscha-Schlucht bei Dobropolje. Das ist ein ganz urtümliches Gebiet, welches man zu jener Zeit noch strengstens geschont hat: es bedurfte in der Tat des vom Landesverteidigungs-Ministerium bestellten Jagdreferenten, um jene Gegend mit der Büchse unterm Arm zu betreten. Diejenige des Majors hatte damals im entscheidenden Augenblicke der Jagd versagt, eben als der Trieb aus dem Unterholze brach und die schwarzen Burschen über einen Kamm mit lichter stehenden Bäumen stürmten; und dies so dicht an den beiden Schützen vorbei, daß Laska sein

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