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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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vereinzelten Auftreten im Hause Stangeler stets eine bemerkenswerte Ausnahme dargestellt – als der einzige Offizier nämlich, welchem man dort begegnen konnte; denn der Hausherr hegte, und das war bekannt, ein unüberwindliches Vorurteil gegen diesen Stand; die Töchter durften also Offiziere gar nicht einladen, nur einige Marineoffiziere waren geduldet, weil der alte Stangeler in den Seeleuten immerhin Menschen erblickte, ›die was gelernt haben‹. Melzer dagegen wurde, als er einmal gelegentlich einer Bergpartie dort auf dem Lande hereingeschneit war, als ein ›frischer, netter und bescheidener Bursch‹ bezeichnet und approbiert). Es war für Melzer zuletzt ein Gefühl gewesen wie ein stechender Schmerz, als seine Freunde ihre Absichten erörterten, morgen am Samstage dort hinaus in das Semmering-Gebiet zu fahren; und zuletzt erhielt jenes Gefühl seinen Mittelpunkt, um welchen es gewissermaßen kreisen konnte, in diesem einen Namen: Asta Stangeler.
    Jedoch in Wahrheit, was verband ihn mit Renés bräunlicher Schwester, gestern noch halbwüchsig, sozusagen, denn im vorletzten Winter hatte man sie zum erstenmal auf Bällen und in Gesellschaften gesehen? Sie trat ihm jetzt mit vertiefter Deutlichkeit vor das innere Aug': im Sitzen mit anderen zusammen auf einem felsigen Abbruch über dem Tal, die Berge standen nahe und übermäßig plastisch (was auf kommendes schlechtes Wetter deutete), und Asta in ihrer rotblauen steirischen Tracht mit dem bunten Schultertuch lachte, was sie nur lachen konnte. Melzer erinnerte sich jetzt, daß er mit ihr immer viel gelacht hatte, ja mit niemandem noch so herzlich wie mit ihr, so schien es ihm nun. An dieses Bild knüpfte sich in Melzer unverzüglich Hoffnung, aber welcher Art war diese Hoffnung? Die Erinnerung stammte aus der Zeit vor seiner Bekanntschaft mit Mary Allern, ja, sie vertrat in unserem Leutnant jene ganze unbeschwertere Lebensweise. Er hoffte also in paradoxaler Weise, nämlich auf die Vergangenheit gerichtet statt auf die Zukunft. Und das tun wir, nebenbei bemerkt, meistens.
    »Weißt', ich muß leider bald gehen«, sagte er zu Lindner. Er hörte noch, wie man die ›Garden-parties‹ erörterte, eine neue Gepflogenheit bei Schmellers in Grinzing draußen, seit dem vorigen Sommer eingeführt für diese Jahreszeit jetzt, da alle Welt aus den Bädern, vom Gebirge oder vom Meere wieder in Wien einzutreffen pflegte; sommerliche Gartenfeste hoch über der Stadt, deren herauftretende Schnüre von Lichtern den Reiz mehrten, wenn man im Freien soupierte und späterhin auch tanzte. Eine formlosere Geselligkeit ohne Frack und Abendkleid, eine Art Vorschau auf den Winter, noch im bequemen Sommeranzug.
    »Du, komm bald wieder, mußt ja nicht deinen ganzen Urlaub immer auf einmal nehmen, Melzer!«
    »Und dann in Ischl verschwinden …«
    Die Glastür schwang, fiel zu, das Bad von Bewegung in den Straßen empfing ihn. Auf dem Graben winkte er einem Fiaker. Beim ›Stock im Eisen‹ wandt' er sich um, sah den hohen Dom im Gewimmel stehen und blickte dann nach vorwärts die Kärntnerstraße entlang gegen die Oper zu: dort ging's hinaus. Hinaus in eines der vielen merkwürdigen und südlichen Länder, welche der alte Staat gehabt hatte und deren Ausstrahlungen, Reize, Düfte und auch bedenkliche Odeurs sich genau hier, in diesem Schnittpunkte, trafen. Melzers gemietete acht Hufe klackerten munter über den Asphalt der Favoritenstraße: hinauf zum Südbahnhof, in dessen Nähe ja sein Absteige-Hotel lag. Nun hieß es den Sportanzug ausziehen: von hier ab reiste Melzer auf Marschroute und in Uniform.

    Solchermaßen angetan verließ er nach dem Essen das Schneider'sche Restaurant, um ins Bahnhofscafé hinüberzugehen.
    Diese Lokalitäten waren zu jener Zeit sehr gepflegt, verhältnismäßig still und über das Bedürfnis des damaligen Verkehrs – wo noch nicht jede Mehlspeisköchin unausgesetzt herumreiste – geräumig. Man möchte sagen, es lag in ihnen nachklingend die ganze repräsentative Bedeutung der eröffneten Semmeringbahn, mochte das auch schon ein halbes Jahrhundert her sein. Um die dunklen Marmorsäulen schwebte die tradi tionelle Atmosphäre eines Wiener Cafés, Mokkaduft und Zigarettenrauch, jene absolute Reinheit von jedem Essensgeruch oder fettigem Odeur, denn hier nahm man, außer Kaffee in den sechs verschiedenen Formen der Bereitung und des Services, höchstens ein Schinkenbrot zu sich oder Eier. Es gab immer genügend leere Tische und jedermann, der sich

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