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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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erwähnten vierzehn Jahre tiefen Sprung zu tun und Paula wiederzuerkennen. Er wandte sich. Er blickte sie jetzt an.
    Und beide lächelten.
    Melzer nahm sein Weinglas. Auch sie.
    Er beugte sich zu ihr.
    »Strudlhofstiege 1911?« sagt' er halblaut.
    »Ja«, sagte sie, mit einem weichen Wohllaut in der Stimme.
    Er dachte jetzt an die Stiegen ganz in der Art, wie man an einen Menschen denkt. Sie behielten recht. Sie enttäuschten nie.

    Der gläserne Schrank, ganz durchsichtig und daher jeder Verstellung unfähig (man muß aber ein Vakuum nicht eigentlich als Qualität werten, denn das wäre widersinnig), zeigte jetzt eine Art wolkig-molkenbrockiger Trübung: es war ein Schmerz in Theas Gesicht erschienen, während sie dem Amtsrat zuhörte, ein Schmerz wegen eines – sei's auch nur durch die dumme Zigaretten-Affäre – innerlich noch Verhaftet- und Gefesseltseins an Eulenfeld und seinen Kreis, den sie als Pönitentiärin nicht so ganz ohne Tränen verlassen, jetzt aber eigentlich schon weit hinter sich gelassen hatte: und gar in der Nähe Melzers. Nun auf einmal fühlte sie sich dieser Nähe nicht würdig.
     »Immerhin steht zur Erwägung, ob ein an sich unbedenkliches Rechtsgeschäft mit irgendeiner strafbaren Handlung in Verbindung gebracht werden darf«, sagte Zihal. »Jedoch kann nicht als erwiesen gelten, ob der gesetzliche Preis für die Ware überhaupt wäre erlegt worden, und ob es sich nicht hier, so wie in den anderen Fällen um Diebstahl, bzw. Einbruchsdiebstahl oder Unterschlagung, um eine versuchte Herauslockung und einen Betrug gehandelt hätte. Denn meines Wissens ist niemand auf die gemachten Angebote eingegangen, das heißt, diese Bestellungen wurden in keinem Falle effektuiert. Doch wohl offenbar aus Mißtrauen. Anlaß genug wäre der Sicherheitsbehörde jedenfalls gegeben, sich im Zuge einer nun einmal schon laufenden Untersuchung auch um solche Fälle zu kümmern.«
    Er übertrieb doch stark, unser Amtsrat: das kam ja so heraus, als hätt' er verschiedenerlei Informationen (denn immer gebrauchte er ja den Plural), das schwoll ja schon bis zu Würde, Dekor, Haupt- und Staatsaktion! und wie bescheiden waren eigentlich seine Quellen! Aber er sog und zog aus ihnen. Er folgerte. Er folgerte, daß der eine ihm zu Ohren gekommene Fall nicht würde vereinzelt geblieben sein. Und gebrauchte daher den Plural. Nicht ganz ohne Berechtigung. Durchaus nicht. Und ohne irgendetwas hinzu erfahren zu haben, wußte er somit bereits mehr als Thea und die Pichler zusammengenommen.
    Durch den Glaskasten huschte eine flüchtige Einsicht (wir können sie deutlich sehen), daß der Rittmeister so ganz unrecht nicht gehabt habe mit seinem Ärger wegen der Art, wie sie, Thea, die Sachen bei der Tante Oplatek auf der Josefstadt vorgebracht hatte, und obendrein unter Deponierung seines Namens und seiner Adresse.
    Die Pichler legte bei des Amtsrates letzten Reden in ihrer uns schon bekannten Art die Ohren zurück. Einen Augenblick hindurch schien's ihr beinah, als wisse der Amtsrat wirklich mehr als sie selbst. Jedoch blieb sie völlig ruhig und nüchtern. Und darum siegte in ihr alsbald der Schachl'sche Hausverstand sogar über den Zihalismus endemicus, und sie erkannte – so etwas aber bringt doch nur ein gänzlich amtsfremdes Individuum fertig! – Zihal's sich ausbreitende Spaliere als durchaus nur aus den von ihr (und von Thea – aber das freilich wußte sie nicht!) deponierten Samenkörnchen gezogen. Sogleich dann faßte sie drei saftige Resolutionen. Und zwar geschahen diese Gedankenarbeiten bei der Pichler viel müheloser wie etwa bei Asta von Stangeler in verwandten Fällen, denn der Paula drosselte keinerlei Halskrause den Zustrom der Kraft. Vielmehr griff diese voll an, mir nichts, dir nichts, wirkte ohne Hindernis, und alles war gleich fertig, ja, wie aus dem Handgelenk:
1. Der Amtsrat ist kein Schwein und kein Naderer der anzeigt. Das gibt's bei dem gar nicht.
    2. Der Thea kann auf keinen Fall was passieren.
    3. Was aus dem alten Lumpen von Rittmeister wird, ist mir egal. 
    Erledigt. Zugleich schien ihr jetzt doch eher möglich – seit Melzer und sie eine ganz unvorhergesehene neue alte Verbindung gewonnen hatten – ihm von den gedoppelten Damen zu erzählen. Jetzt schon? Heut noch? Überhaupt? Hatte nicht René doch recht?!
    Inzwischen war auch das zuletzt besprochene Thema erloschen. Melzer meinte am Ende noch, daß die erhöhte Aufmerksamkeit der Finanz-Wachen an den Grenzen – nicht so sehr zur

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