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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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waren, gingen beide in die Laza rettgasse, am liebsten über die Strudlhofstiege, wo sie einander zu treffen pflegten. Der in einem neuen Sinne aktivierte Major befliß sich übrigens achtsamer Korrektheit. Er teilte Frau Rak seine Verlobung mit (der Pierrot überschlug sich in der Luft) und hat Thea dann nicht mehr erlaubt, bei ihm in der Porzellangasse zu erscheinen, mit Ausnahme des einen Males, als sie der Rechnungsrätin ihre Sachen zurückbringen und ihr danken mußte: zur Stunde saß Melzer im Amt. Die Rak erhielt übrigens bei dieser Gelegenheit ein schönes Ehrengeschenk, sozusagen von der Firma Rokitzer, das ihr durch die Thea mit vielen Empfehlungen überbracht ward: eine große Kassette des luxuriösesten und besten Briefpapiers in Elfenbeinfarbe mit den Initialen unseres Pierrot. Was sie darauf (wenn überhaupt) wohl geschrieben haben mag? An die Colombine? Unsinn. Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten.

    Sie saßen jetzt meistens im Liechtensteinpark beieinander, den Melzer sozusagen neu entdeckt hatte, obwohl doch dieser große Garten unmittelbar hinter seinem Amtsgebäude lag; aber Melzers Lokalitäten hatten ihre Fenster gegen die Porzellangasse. Auf diesen Wegen hier, die jetzt der schon voll eingetretene Herbst umgab, auf diesen Bänken, wo sich von allen Seiten hellhörige Zartheit schenken wollte aus der Ferne, mitten in der Ummauerung durch die Stadt, hier war's, daß eine Erinnerung aus Melzer ganz hervorstieg und deutlich wurde wie ein Gegenstand der Außenwelt, eine Erinnerung, welche ihn seit 1910 immer nur verwischt und verstreut bewohnt hatte: an den Waldgang mit Laska nämlich, nach dem ersten vergeblichen Ansitz auf den Bären. Auch jetzt fühlte sich Melzer wie losgebunden vom Pfahle des eigenen Ich, und er regierte auch jede kleine Bewegung des Körpers wie sonst nie: dabei alles ringsum mit besonderer Klarheit und Schärfe in sich aufnehmend, wie wenn das Bild eines Gartens durch die frisch gewaschene Fensterscheibe ins sonnige Zimmer fällt. Seit mit Marys Erscheinen und Katastrophe, ja mit ihrem Eingriffe in sein Leben, ein neuer, gewaltiger Pfeiler gesetzt war, nach rückwärts, ein Pylon in die eigene Vergangenheit, um deren Aneignung er rang, blickte er durch dieses Tor noch viel weiter zurück und sicher zum ersten Mal im Leben auch in ein neues Reich, das da tiefer noch in der Zeit stand, als etwa Astas kleines Zimmerchen im grünen Unterwasser-Licht oder die schattige und dunstige Verträumtheit unter der Veranda jener Villa in Neulengbach, die einzelnen Ranken von wildem Wein oder Eppich, sein Fahrrad, der schwache gummige Geruch. Ihm ahnte ein rückwärtigeres Feld, davon er herkam und davon er allerdings nur zu sprechen vermochte in einer Sprache, die dort und nicht hier gewachsen, Melzer sah in diesen Tagen mitunter durch Augenblicke in sein (eigenes Leben ein wie in eine hohle Hand. Dies alles heftete sich an Thea, umlagerte sie, zielte sie an, schaute auf sie hin, die solchermaßen ein nicht abtrennbarer Teil davon, ja damit eins wurde.
    Hier, im Park, fanden auch die ersten gegenseitigen Erklärungen in eingehenderer Weise statt, als dies bisher möglich gewesen, den fast noch zitternden gefiederten Schaft des Gottes in Brust und Rücken. In den ersten Tagen nach Matthäi fehlte ihnen, wenn sie beisammen waren, sozusagen der Atem zur Ausführlichkeit und jene Mindest-Distanz zum anderen, deren man bedarf, um zu sprechen, statt abzustürzen in dies nicht entgegen stehende, sondern uns durchdringende Antlitz, durchdringend wie ein Ton, ein Ton der Syrinx. Melzer hatte seine Verspätung erklärt und warum also er nicht auf der Donaulände erschienen war. Dabei ging's ihm seltsam, es ging ihm wie beim Gehen hier im Park, oder auch auf der Straße, oder auch in seinen Zimmern jetzt: in derselben Weise, wie er da jeden gehorsamen Muskel im Genuß der Bewegung spürte, so fügten sich nun die wesentlichen Einzelheiten zu den glatten Fliesen fließenden Berichts, der alle Voraussetzungen – da ja Thea von Etelka Stangeler nichts wußte und von René kaum mehr – nicht mühsam stückelte, sondern in einem und in währender Erzählung einfließen ließ und mitgab. Er sprach knapp; und so, als ginge er. Sein fortschrittlichstes Organ bewegte sich mit den gleichen leichten fördernden Schritten wie der Körper, und man kann hier nicht entscheiden, ob ein frischer Infanterist nun endlich auch seine Sprache hervorbrachte oder diese überhaupt einen neuen Infanteristen. Thea

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